Ob Jelzin oder Putin, ob Wirtschaftskrise oder Boom – im politischen Russland gibt es seit dem Zerfall der Sowjetunion zwei Kräfte, die dazugehören wie der Weihrauch zur Messe: die Kommunistische Partei und die Liberal-Demokratische Partei Russlands, die LDPR. Ihr Name leitet dabei in die Irre: Von Liberalismus ist seit den frühen 1990er Jahren kaum noch etwas in ihrem Programm zu finden – stattdessen steht sie für Nationalismus, ja offen rechtsradikale Positionen, und für einen starken, zentralisierten Staat. Auch das Etikett demokratisch ist angesichts ihrer extremen Führerfixierung zumindest zweifelhaft: Wladimir Shirinowski ist Gründer, Vorsitzender, Chefideologe und Gesicht der Partei.
Shirinowski bezeichnete die LDPR als „älteste Oppositionspartei Russlands“. Und tatsächlich: alt ist sie, zumindest verglichen mit den meisten anderen politischen Kräften. Ihre Wurzeln hat die LDPR in der Perestroika, als das politische Leben in Russland aufblühte: Zahlreiche Organisationen der demokratischen Opposition gründeten sich, fusionierten und zerstritten sich wieder. Der Staat duldete sie, beließ sie aber in der marginalisierten Halböffentlichkeit. Anders die 1989 gegründete Liberal-Demokratische Partei der Sowjetunion (LDPSU): Von Beginn an medial präsent, registrierte sie der Staat 1991 großzügig trotz formaler Fehler, was einige Beobachter persönlichen Verbindungen Shirinowskis zum KGB zuschreiben.1
erste Wahlerfolge
Im Jahr 1991 schwenkte die LDPR (damals noch LDPSU) auf einen offen nationalistischen Kurs ein, da Jelzin und seine Reformer mit der gängigen demokratisch-marktliberalen Ideologie nur schwer anzugreifen waren.2 So etablierte sich Shirinowski mit Forderungen nach territorialer Expansion, der Wiedereinführung der imperialen Flagge und einem zentralisierten, ethnisch russischen Staat als Vertreter derjenigen, die sowohl vom Kommunismus als auch von dessen Niedergang enttäuscht waren. Diese Position brachte der LDPR zunächst erhebliche Wahlerfolge ein: Im Jahr 1993 wurde sie unerwartet mit 23 Prozent der Stimmen stärkste Kraft im Parlament und sorgte damit für Panik im demokratischen Lager. Ein Großteil des Erfolgs war dabei Shirinowskis Auftreten geschuldet, der sich als dynamischer Gegensatz zu langweiligen Parteifunktionären inszenierte.3
Bedeutung im Parteiensystem
Wenngleich die Wahlergebnisse im Laufe der 1990er zurückgingen und nun zwischen 6 (1999) und 13 Prozent (2016) liegen, ist die LDPR aus dem Parteienspektrum nicht wegzudenken. Dabei nimmt sie eine eigentümliche Position im politischen Machtgefüge ein. Da ist, erstens, ihre Ideologie: Konstanten sind der rechtsradikale Nationalismus und die Forderung nach einer imperialistischen Außenpolitik. Davon abgesehen ist sie programmatisch allerdings flexibel. In einer Umfrage von 2006 waren die Befragten denn auch uneins darüber, ob die LDPR eher marktliberal (35 Prozent) oder für mehr Regulierung sei (28 Prozent), eher für individuelle Freiheit (39 Prozent) oder soziale Gleichheit (24 Prozent) einstehe, und ob sie eher der politischen Führung oder der Opposition angehöre (30 versus 34 Prozent).4 Zweitens also steht die LDPR im Ruf, eine zuverlässige Stütze von Putins Machtarrangement zu sein. Man muss nicht über personelle und finanzielle Verbindungen zwischen Kreml und Parteiführung spekulieren, um diese These zu bestätigen. Denn zwar äußert die LDPR programmatische Kritik am Kurs der Regierungspartei, stimmt aber oft genug für deren Gesetzesprojekte.5 Außerdem spart sie Putin persönlich von ihrer Kritik weitgehend aus und unterstützt damit sein Image als überparteiliche Führungsfigur der nationalen Einheit.
Satellit des Kreml?
Der Politikwissenschaftler Wladimir Gelman bezeichnet die LDPR daher treffend als „Satelliten“ des Kreml: Die Partei ziehe unzufriedene Wähler an und halte sie so davon ab, umstürzlerische Kräfte zu unterstützen. Auch ihre radikale Propaganda gegen Kommunisten wie Liberale ist der Regierung durchaus dienlich.6 Wenngleich die Partei also im politischen System ihre Nische gefunden hat, ist ihre Zukunft ungewiss. Erstens zeigt die Stagnation ihrer Wahlergebnisse, dass es ihr nicht gelingt, ihre Wählerschaft zu verbreitern7 – wobei ihr im Falle einer andauernden ökonomischen Krise das Image als Protestpartei womöglich helfen könnte. Zweitens jedoch ist sie strukturell und inhaltlich derart auf Shirinowski fixiert, dass sie ohne den mittlerweile 70-Jährigen nicht vorstellbar ist. Zwar hat er bereits seinen Sohn Igor Lebedew als Fraktionschef installiert, doch der verfügt nicht über einen Bruchteil von Shirinowskis Charisma. Ob das früher oder später zu erwartende Abtreten Shirinowskis von der politischen Bühne die Gestalt des russischen Parteiensystems nachhaltig verändern wird, muss die Zukunft zeigen.