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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Maxim Gorki

Im Sommer 1929 reiste Maxim Gorki auf die Solowezki-Inseln im Weißen Meer. Dort befand sich das Solowezki-Lager für besondere Angelegenheiten – ein Lagerkomplex des Gulag, dessen Insassen Zwangsarbeit verrichteten. Laut Gerüchten waren die Lebensbedingungen der Gefangenen miserabel: Folter, Misshandlungen und Morde gehörten zum Alltag. Die Staatsmacht hatte den Besuch des berühmten Schriftstellers Gorki organisiert, um den prekären Ruf des sowjetischen Strafsystems aufzubessern.  

Das Lager hatte sich gut vorbereitet. Die Kerker auf der Sekirnaja Gora wurden hergerichtet: Tische wurden aufgestellt, die Gefangenen erhielten Zeitungen und sollten so tun, als würden sie lesen. Um Gorki zu signalisieren, dass es sich um eine Inszenierung handelt, hielten die Häftlinge die Zeitungen aber verkehrt in den Händen. „Gorki hat es gesehen. Einem von ihnen drehte er die Zeitung um und ging weg. Er zeigte damit, dass er alles verstanden hatte“ – erinnerte sich später der berühmte Philologe Dimitri Lichatschow, der als junger Mann auf den Inseln inhaftiert war. 
Jahrzehnte später sagte der russische Schriftsteller Boris Akunin, Gorki habe sich mit dieser Reise seinen „Nachruf verdorben“. Der Schriftsteller, der als Symbol für Gerechtigkeit galt, schrieb eine Eloge auf Solowki, lobte die hübschen Baracken der Häftlinge, rühmte das NKWD und besang den sozialistischen Aufbau.

Gorkis Paradox bestand darin, dass er sich zeit seines Lebens für die Unterprivilegierten der Gesellschaft engagierte und gleichzeitig in seinen letzten Lebensjahren zum willfährigen Komplizen des repressiven stalinistischen Systems wurde. Dabei war romantisch eingefärbter Protest der Grundgestus seines Schreibens. Sein vielschichtiges Werk wurde jedoch durch die Kanonisierung im sowjetischen Literaturbetrieb auf eine eingängige politische Botschaft reduziert und muss daher neu entdeckt werden.

Maxim Gorki wurde unter dem Namen Alexej Maximowitsch Peschkow 1868 in Nishni Nowgorod geboren. Er stammte aus einfachsten Verhältnissen und eignete sich seine literarischen Fähigkeiten weitgehend autodidaktisch an. Seine schwierige Jugend brachte ihn mit vielen Milieus in Kontakt. Er reiste durch den Süden des Zarenreichs und ließ sich schließlich als Journalist in Samara nieder. Als 19-Jähriger schoss er sich mit einer Pistole in die Brust. Dieser Selbstmordversuch schwächte seine Lungentätigkeit zeitlebens. 

Um die Jahrhundertwende wurde Gorki als Verfasser romantischer Barfüsser-Erzählungen schnell berühmt. Er konnte dabei auf seine eigene Erfahrung als Wanderarbeiter und Tagelöhner zurückgreifen. In den frühen Texten gelang es Gorki, ethnographische Beobachtungen mit romantischen Sujets zu verknüpfen. Einige davon sind später zu Allegorien des revolutionären Kampfes verklärt worden. So reißt sich etwa ein junger Mann in der Erzählung Die alte Isergil (1894) sein loderndes Herz aus der Brust, um dem eigenen Volk den richtigen Weg zu weisen. 

Bald feierte Gorki mit seinen sozialkritischen Dramen auch Erfolge auf den Bühnen. Im Gegensatz zu den Erzählungen herrscht in den Theaterstücken ein streng naturalistischer Gestus vor. Verstärkt wurde der Eindruck durch die hyperrealistischen Inszenierungen des Starregisseurs Konstantin Stanislawski am Moskauer Künstlertheater. Allerdings kommt auch in Gorkis berühmtestem Drama Nachtasyl (1902) sein romantisches Pathos zum Tragen. In einem Monolog fällt der Satz „Ein Mensch – wie stolz das klingt!“. Dieser Ausdruck ist im Russischen zu einem geflügelten Wort geworden. 

Die politische Brisanz von Gorkis Erzählungen fiel auch den zaristischen Behörden auf. Als Zar Nikolaus II. dem jungen Erfolgsautor die Ehrenmitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften vorenthielt, traten Anton Tschechow und Wladimir Korolenko unter Protest aus. Nach einer kurzen Verhaftung reiste Gorki in die USA und lebte von 1907 bis 1913 im Exil auf Capri. Die ersten literarischen Veröffentlichungen erschienen unter dem Pseudonym Maxim Gorki (dt. „der Bittere“) – diesem Nom de Plume blieb der Autor sein ganzes Leben lang treu. 

Konfliktreiche Beziehung mit Lenin

Stalin vereinnahmte Gorki für seine politischen ZieleNoch vor dem Exil auf Capri lernte er 1905 Lenin kennen, mit dem ihn später eine konfliktreiche Beziehung verband. Ein besonderer Streitpunkt betraf die Religion, die für Gorki immer einen zentralen Stellenwert einnahm. Mit seiner Beichte (1908), die unter veränderten Vorzeichen Tolstois Vorbild folgte, erreichte Gorki den Höhepunkt seines Gotterbauertums. Der Philosoph und Biologe Alexander Bogdanow (1873–1928), dem Gorki auch seine rudimentäre marxistische Bildung verdankte, hatte dieses Programm entworfen: Gott sei kein metaphysisches Wesen, sondern ein menschliches Konstrukt, das aber zum Gegenstand religiöser Verehrung werden müsse. Der streng atheistische Lenin reagierte gehässig auf Bogdanows Ideen: Der erbaute Gott unterscheide sich vom christlichen Gott wie ein gelber von einem blauem Teufel.1 Gorki gab das Gotterbauertum zwar bald auf, blieb aber bis zu seinem Lebensende ein Anhänger von Bogdanows Idee, dass die neue kommunistische Zivilisation auch die geistige Energie aller Verstorbenen akkumuliere und durch den Geist einzelner Genies wieder zurück in die neue Gesellschaft fließe.2 

An Lenins moralischer Rücksichtslosigkeit rieb sich Gorki noch lange. Nach der Oktoberrevolution kritisierte der Schriftsteller in harschen Worten die Grausamkeit der bolschewistischen Herrschaft und machte Lenin persönlich für die Gewaltexzesse verantwortlich.3 Gorkis Artikelserie, die zu Beginn des Jahres 1918 unter dem Titel Unzeitgemäße Gedanken in der Zeitung Nowaja Shisn (dt. „Neues Leben“) erschien, wurde in der Sowjetunion streng unter Verschluss gehalten. Lenin schickte den unbequemen Gorki 1921 „zur Erholung“ ein zweites Mal ins Exil, zuerst nach Deutschland, dann nach Italien. Viel später erst wandelte sich Gorkis Blick auf den Revolutionsführer: Aus dem unbarmherzigen Tyrannen wurde in der späten Erinnerung des Schriftstellers ein fürsorglicher Lehrer. 

Im goldenen Käfig

Erst 1928 kehrte Gorki in einem Triumphzug  in den Sowjetstaat zurück. Stalin, der eben seine Macht als Lenins Nachfolger konsolidiert hatte, bereitete dem berühmten Schriftsteller einen überschwänglichen Empfang. Stalin wollte seine eigene Herrschaft mit Gorkis moralischer Autorität legitimieren. Der gefeierte Autor residierte in einer Moskauer Villa wie in einem goldenen Käfig und wurde mit manipulierten Informationen beliefert. Er stürzte sich in umfangreiche Editionsprojekte, gründete den Verlag Weltliteratur und initiierte eine Serie mit Biographien berühmter Menschen, die bis heute weitergeführt wird. Er wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Sogar seine Geburtsstadt Nishni Nowgorod wurde ihm zu Ehren 1932 in Gorki umbenannt. 

Stalin vereinnahmte Gorki für seine eigenen politischen Ziele, und Gorki ließ sich bereitwillig instrumentalisieren. Er unterstützte die Diktatur mit Zeitungsartikeln mit martialischen Titeln wie etwa Wenn der Feind sich nicht ergibt, wird er vernichtet (1930). 1934 erreichte Gorki einen Tiefpunkt seiner literarischen Karriere, als er das Eröffnungsreferat auf dem Ersten Schriftstellerkongress hielt. Zuvor waren alle literarischen Vereinigungen aufgelöst und gleichgeschaltet worden. Als Stilideal wurde nur noch der sozialistische Realismus akzeptiert, der die „Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung“ darstellen sollte. Als Modell avant la lettre galt Gorkis Roman Die Mutter (1906), in dem ein revolutionärer Zirkel aus der naiven Sicht der ungebildeten Mutter des Helden geschildert wird. In einem prekären Sinn nimmt dieser Roman die Problematik des sowjetischen Literaturbetriebs vorweg: In der neuen Gesellschaft müssen ideologische Inhalte gar nicht verstanden werden, es genügt, dass die Sympathiesteuerung des Autors die richtigen Menschen zu positiven Helden erhebt. 

Ebenfalls 1934 entstand der Propaganda-Sammelband Der Weißmeer-Ostsee-Kanal. Auf der Großbaustelle dieser künstlichen Wasserstraße, die durch Zwangsarbeit entstanden ist, waren über 100.000 Menschen umgekommen, weil sie den Strapazen des Lagers nicht gewachsen waren. Gorki pries im Vorwort Stalins „hervorragend organisierten Willen“, den „hochtheoretischen Verstand“ und das „gnadenlose, kämpferische Vorgehen“ gegen seine Gegner. Allerdings sollte man Gorkis eingeschränkten Blick nicht vorschnell als Folge politischer Naivität deuten. Viel wahrscheinlicher unternahm er einen Kraftakt des Willens, um den gewaltsamen Aufbau des Sozialismus um jeden Preis zu unterstützen. Dabei war er sogar bereit, die Augen vor der prekären Sowjetrealität zu verschließen. Er stand immer noch im Kontakt mit Vertretern der liberalen Exilgemeinde in Westeuropa. Dazu gehörte Jekaterina Kuskowa, die sich in Prag für eine demokratische Wiedergeburt Russlands einsetzte. Gorki warnte Kuskowa in einem Brief aus dem Jahr 1929, „das Volk mit dem giftigen, tödlichen Staub platter alltäglicher Wahrheiten zu verwirren und zu verblenden. […] Du magst mich einen Optimisten, Idealisten, Romantiker nennen ... Das ist deine Angelegenheit. Meine ist zu erklären, warum ich jetzt einseitig geworden bin.“4 

Dieser selbstgewählte blinde Pragmatismus bestimmte auch Gorkis Verhältnis zu Stalin. Immerhin verweigerte sich der Schriftsteller dem Diktator bei der geplanten Abfassung einer geschönten Biographie.5 Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass Gorki auf Anordnung Stalins 1936 ermordet wurde. Auffällig ist allein der Zeitpunkt des Todes: Gorki starb ein Jahr vor Beginn des Großen Terrors – Stalin hätte von Gorki einen ähnlichen Protest wie nach Lenins Machtergreifung fürchten können.6 Allerdings war Gorki, der früher seine eigene Rührseligkeit und Sentimentalität publikumswirksam inszeniert hatte, schon längst durch seine vorbehaltlose Unterstützung des Kremlherrschers kompromittiert. 

Staub der sowjetischen Kanonisierung

Gorkis Ruhm beruht vor allem auf seinen frühen romantischen Erzählungen und seinen sozialkritischen Theaterstücken. Sein opus magnum, das biographische Epos Das Leben des Klim Samgin (1927-1937) wurde bis heute weder in Russland noch im Westen groß zur Kenntnis genommen. Anagrammatisch klingt im Namen der Titelfigur Gorkis eigener Vorname an. Allerdings entwirft Gorki keine fiktive Autobiographie, wie dies etwa der erste russische Nobelpreisträger Iwan Bunin in Das Leben Arsenjews (1933) getan hatte, sondern eine alternative Autobiographie in der Gestalt eines bürgerlichen Intellektuellen, der unter der Last möglicher Gesellschaftsmodelle zusammenbricht. In der offiziellen Sowjetkritik wurde das Buch als Bankrotterklärung des bürgerlichen Denkens gedeutet. Allerdings weist der Text viel mehr Sinnebenen auf, die vom subtilen Psychogramm bis zur Wechselbeziehung zwischen Individuum und Gesellschaft reichen.

Dass Gorki und sein Werk noch nicht ganz vom Staub der sowjetischen Kanonisierung zugeschüttet sind, zeigt ein neues, sehr anspruchsvolles Literaturportal, das sich ausgerechnet den Namen Gorki zugelegt hat.


1.Fülöp-Miller, René  (1926): Geist und Gesicht des Bolschewismus, S. 102
2.Petrov, Petre (2018): Gorky’s return and the energetics of Soviet socialism, in: Studies in East European Thought 70/2018, S. 41-60
3.Knigge, Armin (2011): „Ich liebte ihn im Zorn“ – Gorki über Lenin
4.Wolfe, Bertram D. (1970): Brücke und Abgrund: Maxim Gorki und Lenin, S. 95
5.Gor'kij, Maksim (1998): Neizdannaja perepiska s Bogdanovym, Leninym, Stalinym, Zinov'evym, Kamenevym, Korolenko, Bloomington, S. 280
6.Knigge, Armin (2006): Eine schwere Schuld – Gorki und Stalin
 
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