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Debattenschau № 68: Treffen von Putin und Trump

Anfangs war die Stimmung noch frostig. Am Ende ihres Treffens in Helsinki jedoch strahlten sie beide: der russische Präsident Putin und der US-amerikanische Präsident Trump. „Der Dialog ist sehr gut verlaufen“, erklärte Trump in der anschließenden Pressekonferenz, auch Putin lobte die „geschäftsmäßige“ Atmosphäre.

Auf Nachfrage eines Journalisten sagte Trump während der Pressekonferenz, er habe keinen Grund zu der Annahme, dass sich Russland in den US-amerikanischen Wahlkampf eingemischt habe. In den USA bringt ihm dies derzeit heftige Kritik ein, von demokratischer wie republikanischer Seite, da diese Aussage im krassen Gegensatz steht zu den Ermittlungen der US-Geheimdienste und des Sonderermittlers Robert Müller. Der Großteil der US-Medien kritisiert den Gipfel und Trumps Auftritt neben Putin. Die Washington Post etwa schrieb, Trump habe sich zu Putins „nützlichem Idioten“ gemacht.

Viele europäische Politiker kritisierten das Treffen schon im Vorhinein. Kurz vor dem Gipfel in Helsinki hatte Trump die EU als „Gegner“ bezeichnet. Der deutsche Außenminister Heiko Maas etwa sagte in einem Interview der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die EU könne sich nicht mehr auf die USA verlassen. Er forderte auch eine „Neuvermessung der deutsch-amerikanischen Beziehungen“.

Wie wird das Treffen von Putin und Trump in russischen Medien bewertet: Ist Russland endlich wieder auf Augenhöhe mit den USA? Oder ist alles eine große Show? dekoder bringt Ausschnitte aus staatsnahen und unabhängigen russischen Medien.

Quelle dekoder

Republic: Auf Augenhöhe

Egal, was beim Treffen nun herauskam oder nicht herauskam, Putin hat schon gewonnen, meint Politologe Wladimir Frolow auf dem unabhängigen Online-Portal Republic:

Deutsch
Original
Das Wichtigste, das Putin bekommen hat, ist die Möglichkeit, neben dem amerikanischen Präsidenten auf einer Pressekonferenz zu stehen und die großen internationalen Probleme aufzuzählen, die er nun gemeinsam mit Donald Trump lösen wird – ohne in die Vergangenheit oder auf die Meinung anderer Staaten zu schauen. Das war genau die offizielle Anerkennung Russlands als den USA ebenbürtige globale Macht, die ersehnte „geopolitische Parität“, die der russische Präsident in der gesamten vergangenen Amtszeit angestrebt hat. 
Главное, что получил Путин – это возможность, стоя рядом с американским президентом на пресс-конференции, перечислять большие международные проблемы, которые он будет теперь решать вместе с Дональдом Трампом, без оглядки в прошлое и на мнение других держав. Это как раз и было официальное признание статуса России как равной США глобальной державы, заветный «геополитический паритет», к которому российский президент стремился весь свой последний срок.

erschienen am 17.07.2018

RT: Hysterie in Europa

Der staatliche Auslandssender RT amüsiert sich über die Sorge und Kritik vieler europäischer Politiker an dem Treffen:

Deutsch
Original
Die Sache ist die: Indem er sich das Treffen mit Putin zum Dessert aufsparte, hinterließ Donald Superstar die Europäer auf seiner Europa-Tour mit offenen Mündern. [...] Am amüsantesten ist, dass er bei allem Recht behielt. Denn in den Zeitungen und Fernsehsendungen Europas – und des abdampfenden Großbritanniens – herrscht fulminante Hysterie.

Der Wirbelsturm-Mann hat so über die verkrusteten europäischen Politiker gefegt, [...] dass es eine Augenweide war. Wenn die größte Gefahr für die europäische Demokratie à la Brüssel bislang Putin war mit seinen minderjährigen Hackern, dann hat sich das jetzt schlagartig geändert.

А всё дело в том, что Дональд Ф. Суперстар, оставив встречу с ВВП на сладкое, так провёл своё европейское турне, что оставил местных с широко распахнутыми челюстями. [...] И, что самое смешное, он был во всём прав. Судя по тому, что в газетах и на телеканалах Европы и отчаливающей от неё Британии уже который день стоит фирменная истерика. 

Мужчина-ураган так проехался по заскорузлым европейским политикам, [...] что любо-дорого посмотреть. Если раньше главной угрозой европейской демократии брюссельского разлива был лично Путин В.В. и его малолетние хакеры, то теперь версия резко изменилась.

erschienen am 16.07.2018

Vedomosti: Win-win-Situation

Auf Vedomosti kommentiert Maria Shelesnowa, weshalb das Treffen ein Gewinn für beide Staatschefs war, obwohl es ohne irgendwelche Vereinbarungen zu Ende ging:

Deutsch
Original
Ein solches Ergebnis sieht vor dem Hintergrund des Treffens von Trump mit einem anderen schwierigen Burschen der Weltpolitik –  Kim Jong-un – teilweise dürftig aus. Allerdings passt es sowohl Trump als auch Putin. Für den US-amerikanischen Präsidenten bedeutet das Ausbleiben von Abmachungen und Verpflichtungen – auch wenn sie schwammig wären – weniger Risiko, zu Hause wegen intensiver Kontakte mit dem toxischen Moskau angeprangert zu werden. Für Putin ist es ein Anzeichen dafür, dass Moskau Washington keinen Fingerbreit nachgegeben hat.
Такой исход выглядит отчасти проигрышным на фоне результата встречи Трампа с другим трудным парнем мировой политики – Ким Чен Ыном, Однако это удобно и для Трампа, и для Путина. Для американского президента отсутствие договоренностей и обязательств, пусть даже и самых расплывчатых и обтекаемых, означает снижение риска быть уличенным дома в интенсивных контактах с токсичной Москвой, для Путина – признак того, что ни пяди земли и повестки Москва Вашингтону не уступила.

erschienen am 17.07.2018

Radio Sputnik: Trump ist Geisel des US-Systems

Im staatlichen Auslandsradio Sputnik argumentiert Politologe Sergej Koslow, weshalb die Sympathie Trumps allein Russland nicht reiche:

Deutsch
Original
Trump muss seinem Wähler und dem amerikanischen Establishment Rechenschaft darüber ablegen, dass dieses Treffen nicht für die Katz war, dass konkrete Abmachungen getroffen wurden. Wie effektiv die Gespräche wirklich waren, lässt sich zu diesem Zeitpunkt kaum beurteilen. Ich denke, man kann schwerlich eine Annäherung erwarten, weil der amerikanische Präsident eine Geisel des US-amerikanischen politischen Systems ist.
Трампу необходимо отчитаться перед своим избирателем и американским истеблишментом о том, что эта встреча была проведена не зря, и что какие-то конкретные выводы были сделаны. Насколько эффективными оказались переговоры, судить сейчас достаточно сложно. Думаю, вряд ли можно ожидать потепления отношений, потому что американский президент – заложник американской политической системы.

erschienen am 17.07.2018

RIAFAN: Stärke Russlands anerkannt

Auch die Nachrichenagentur RIAFAN meint, dass Trump viele „Illusionen” zerstöre:

Deutsch
Original
Trump rechnet die Szenarien der Realpolitik durch, und nicht die einer virtuellen Welt. In diesen Szenarien erkennt er die Stärke Russlands an und erachtet unser Land als starken Konkurrenten. Das ist alles. Aber die, die in Illusionen leben, sind schrecklich besorgt, dass an der Spitze der USA ein Leader steht, der die Welt der Illusionen zerstört, die mit kolossalen Ressourcen in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurde. Wenn eine solche Welt einbricht, dann ist das wirklich eine Krise, und sie wird sich verschärfen.
Трамп просчитывает сценарии реальной политики, а не виртуального мира, и в этих сценариях он признает силу России и считает нашу страну сильным конкурентом. Вот и все. Но те, кто живет в иллюзиях, страшно переживают, что во главе США стоит лидер, который разрушает мир иллюзий, созданный колоссальными ресурсами за последние десятилетия. Когда такой мир рушится — это действительно кризис, и он будет усугубляться.

erschienen am 17.07.2018

Carnegie.ru: „Normalität” nicht unter Trump und Putin

Politologe Dimitri Trenin betont auf der Seite des unabhängigen Think Tanks Carnegie.ru, wie wichtig die Wiederaufnahme des Dialogs sei – und hat auch eine schlechte Nachricht.

Deutsch
Original
Die wichtigste Bedeutung des Treffens in Helsinki ist die Wiederaufnahme des russisch-amerikanischen Dialogs. Auf das Treffen auf neutralem Boden werden wahrscheinlich gegenseitige Besuche in Washington und Moskau folgen. Das schafft eine neue Dynamik in der Interaktion zwischen zwei Staaten auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Übereinstimmung. Der hybride Krieg zwischen den USA und Russland geht zweifellos weiter. In diesem Krieg jedoch entstehen Regeln und Kanäle des Dialogs, nicht nur über den Heißen Draht.
Die amerikanisch-russische Konfrontation währt nicht ewig. Mit der Zeit kann sich das Verhältnis zu einer „normalen“ Rivalität und später zu einer „einfachen“ Konkurrenz zwischen zwei Mächten entwickeln. Aber das wird wohl nicht unter Trump passieren. Und vielleicht auch nicht unter Putin.
Главное значение встречи в Хельсинки состоит в возобновлении российско-американского диалога. За встречей на нейтральной территории, вероятно, последует обмен визитами в Вашингтон и Москву. Такой график создаст динамику взаимодействия между двумя государственными бюрократиями в поиске точек соприкосновения и выработке формул согласия. Гибридная война между США и Россией, несомненно, продолжится. В этой войне, однако, появляются правила и каналы диалога, не только экстренной связи. Американо-российская конфронтация не вечна. Со временем она может перерасти в «нормальное» соперничество держав, а затем в их «простую» конкуренцию. Но это случится, наверное, не при Трампе. А может быть, и не при Путине.

erschienen am 16.07.2018

Moskowski Komsomolez: Ausgetrickst

Michail Rostowski kann sich im Massenblatt Moskowski Komsomolez nicht nur freuen über den für Russland scheinbar positiven Ausgang des Treffens:

Deutsch
Original
Beim Gespräch mit Journalisten zum Abschluss des Summits in Helsinki hat der Präsident Russlands den amerikanischen Präsidenten offensichtlich ausgetrickst. Und dieser Umstand hat mein Herz mit Stolz erfüllt, aber auch mit Besorgnis. 

Trump auszutricksen heißt nicht, die amerikanische politische Klasse auszutricksen. Ich fürchte, dass ein Antwortgruß aus Washington nicht lange auf sich warten lassen wird. [...]

In jüngster Vergangenheit hatten innenpolitische Erwägungen Trump dazu gezwungen, offen antirussische Entscheidungen zu treffen, etwa über die Einführung schmerzhafter Sanktionen gegen wichtige Bestandteile unserer Wirtschaft.

Ich wünsche mir, dass ich irre. Aber nach dem Summit in Helsinki könnten solche innenpolitischen Erwägungen deutlich zunehmen. Worin liegt die Moral davon? Wahrscheinlich darin: Ein bescheidener und scheuer Trump erschreckt manchmal mehr als ein Trump in der Rolle des Streithahns und Raufbolds. Bringt daher bitte jenen Trump zurück, der bei der NATO war! Mit einem solchen US-Präsidenten ist es irgendwie ruhiger und gewohnter. 

В ходе общения с журналистами по итогам саммита в Хельсинки президент России очевидно переигрывал президента Америки. И это обстоятельство наполнило мое сердце не только гордостью, но и тревогой.
Переиграть Трампа – не значит переиграть американский политический класс. Боюсь, что ответный привет из Вашингтона не заставит себя долго ждать. И дело здесь не только в “робком” поведении американского президента, но и в наступательной позиции президента российского. [...]
В совсем недавнем прошлом внутриполитические соображения заставляли Трампа принимать откровенно антироссийские решения – например, о введении болезненных санкций против важных элементов нашей экономики.
Очень хочу ошибаться. Но после саммита в Хельсинки таких внутриполитических соображений у Трампа может резко поприбавиться. В чем мораль? Наверное в этом: скромный и застенчивый Трамп иногда пугает гораздо больше, чем Трамп в роли задиры и забияки. Верните поэтому, пожалуйста, того Трампа, который был в НАТО! С таким президентом США как-то спокойнее и привычнее.

erschienen am 16.07.2018

Facebook/Lilija Schewzowa: Fake-Feindschaft

Inwiefern die Auseinandersetzung mit den USA der russischen Führung zur Legitimation dient, analysiert die Politologin Lilija Schewzowa auf ihrem Facebook-Account:

Deutsch
Original
Russisch-amerikanische Summits sind verdammt, weil das russische System darauf ausgelegt ist, sich durch die Suche nach einem Feind selbst immer wieder neu zu erfinden. Amerika ist für den Kreml der ideale Feind. [...] Sich mit Amerika, der einzigen Supermacht der Welt, in Bezug zu setzen, im Dialog oder in Feindschaft mit ihr zu sein – das ist auch eine Legitimierung der russischen Führung.
Aber der Kreml will doch, selbst auf der ständigen Suche nach einem Feind, keine Konfrontation mit Amerika, werdet ihr sagen. Klar, diese Jungs sind keine Kamikaze. Das heißt, es wird darum gehen, an der Grenze zur Konfrontation entlang zu balancieren. Oder besser, sie zu imitieren: Fake-Kampf mit dem amerikanischen Giganten und gleichzeitig freundschaftliche Kaffeekränzchen mit ihm im Rahmen des „Weltkonzerts“. Das ist ein filigranes Spiel. Allerdings gelingt es dem Kreml eher schlecht in letzter Zeit. 
Российско-американские саммиты обречены потому, что российская система заточена на воспроизводство через поиск врага. Америка является для Кремля идеальным врагом. [...] Соотнесение с Америкой, единственной мировой сверхдержавой, диалог с ней или вражда с ней- это и легитимация российского лидерства. [...] Но ведь Кремль, даже находясь в постоянном поиске врага, не хочет конфронтации с Америкой, скажете вы. Конечно, эти ребята не камикадзе. Значит, речь будет идти о попытках найти способ балансирования на грани конфронтации. А лучше ее имитации: фейковая борьба с американским гигантом и одновременно дружеские посиделки с ним в рамках мирового «Концерта». Это филигранная игра. Правда, в последнее время она плохо идет у Кремля.

erschienen am 16.07.2018

dekoder-Redaktion

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Sergej Lawrow

Auf kaum einen russischen Politiker wird so unterschiedlich reagiert wie auf den Außenminister Sergej Lawrow. Die ehemalige Sprecherin des US State Department Jennifer Psaki überschritt geradezu eine rote Linie des diplomatischen guten Tons, als sie in harscher Manier im April 2014 Lawrows Vorwurf kommentierte, die USA würden Handlungen der ukrainischen Regierung steuern – dies sei, sagte sie, lächerlich.

Wie ist dieser Affront zusammenzubringen mit den Elogen, die sonst auch von westlicher Seite oft auf Lawrow gesungen werden?

Der britische Historiker Mark Galeotti etwa schrieb in der US-Zeitschrift Foreign Policy, Lawrow sei „einer der weltweit härtesten, klügsten und erfahrensten Außenminister“, eine „enorme Ressource des Kreml“ – die leider einfach nicht genügend eingesetzt werde.1 Auch der deutsche Historiker Michael Stürmer brach für ihn eine Lanze2, und sogar unter den russischen Regimekritikern finden sich einige, die etwas für Lawrow übrig haben. Es scheint, Lawrow ist eine durchaus widersprüchliche Figur.

Mit seinen maßgeschneiderten Anzügen umweht Lawrow eine Aura des weltgewandten Gentlemans / Foto © kremlin.ru

Für den Studenten des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO) – der Kaderschmiede der sowjetischen und später russischen Diplomatie – war die diplomatische Karriere vorgezeichnet. Sie führte den 22-jährigen Lawrow (geb. 1950), der seitdem durchgehend im diplomatischen Dienst tätig ist, erst in die sowjetische Botschaft auf Sri Lanka, vier Jahre später in die Abteilung für internationale Wirtschaftsorganisationen beim Außenministerium und von 1981 bis 1988 zur sowjetischen Vertretung bei der UNO. Nach einem Intermezzo im Außenministerium der  UdSSR beziehungsweise Russlands kam er 1994 zurück nach New York, wo er ein Jahrzehnt lang als UN-Botschafter agierte. Seit 2004 ist Lawrow Außenminister. Neben den UNO-Sprachen Englisch und Französisch spricht er Singhalesisch und Dhivehi.3

Ein distinguierter „Mister Njet“

Mit seiner geschliffenen Ausdrucksweise und seinen tadellosen maßgeschneiderten Anzügen umweht den hochgewachsenen Lawrow eine Aura des weltgewandten Gentlemans. Ihm wird ein kluger – zuweilen herber – Humor nachgesagt. Er habe, heißt es außerdem, Sinn für guten Whisky, sei mit seiner Rafting-Leidenschaft risikofreudig und im Umgang mit Damen betont charmant. Sein Pokerface und der Spitzname „Mister Njet“ („Mister Nein“) tun das Übrige für den Nimbus eines Mannes, der sich stets tatkräftig und perfekt informiert gibt und in Verhandlungen äußerst durchsetzungsstark ist.  

Gewandte Syrien-Diplomatie

Ein Beispiel seiner diplomatischen Rafinesse präsentierte der erfahrene Politiker im September 2013 im Rahmen des Syrienkonflikts. Geschickt zog er aus einem – möglicherweise recht unbedachten – rhetorischen Argument seines amerikanischen Amtskollegen John Kerry Nutzen und schuf politische Fakten. Kerry hatte bei einer Pressekonferenz gesagt, die syrische Führung könne nur dann einem bevorstehenden Militärschlag entgehen, wenn sie alle Chemiewaffen an die internationale Staatengemeinschaft übergebe – davon ausgehend, dass ein solches Szenario sowieso gänzlich außerhalb des Möglichen liege. Lawrow machte aus Kerrys Worten jedoch umgehend bare Münze: „Wir greifen den Vorschlag von Kerry auf. Wenn sich damit ein Militärschlag abwenden lässt, wollen wir helfen, dass Damaskus die Chemiewaffen abgibt“4, ließ er in einer eilig einberufenen Pressekonferenz verlauten. Und in der Tat begann kurz darauf eine von Russland überwachte Aktion zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Nach einiger Zeit wurde jedoch klar, dass sie nur zu einer teilweisen chemischen Entwaffnung Syriens führte. Zugleich wurde so der Grundstein für Russlands militärisches Engagement in Syrien gelegt. Mit diesem Coup ließ Lawrow den US-Außenminister wie einen Schuljungen dastehen.

Münchner Sicherheitskonferenz: fast ein Eklat

Es bleibt verborgen, weshalb Kerry seinen russischen Partner schon wenige Tage nach dem Vorfall „my friend Sergey“ nannte5 – die diplomatische Welt hat ihre eigenen Codes. Sicherlich gehört jedoch eines nicht dazu: dass man über einen Diplomaten öffentlich lacht. Diesem Skandal wurde Lawrow bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 ausgesetzt. Es war zunächst wie üblich bei solchen Veranstaltungen: Der Außenminister stimmte ein US-kritisches Lamento über die Hegemonie-Bestrebung und den Revolutionsexport an, ganz im Einklang mit dem Whataboutismus der sowjetischen Diplomatenschmiede. Als er aber darauf kam, die Angliederung der Krim als UN-Charta-konform zu erklären und darauf verwies, dass im ähnlichen Fall der deutschen Wiedervereinigung nicht einmal ein Referendum stattgefunden habe, brachen viele Diplomaten in offenes Lachen aus. Ein unerhörter Vorgang in der diplomatischen Welt, die sich meistens hinter der Fassade der Höflichkeit verbirgt.

Souveräne Verkörperung der politischen Unberechenbarkeit

In dieser Situation trafen gleich mehrere Unberechenbarkeiten aufeinander: Die des Publikums, das seine diplomatische contenance verlor, und die der russischen Außenpolitik selbst, von der es oft heißt, sie schlage – vor allem seit der Angliederung der Krim – immer wieder gezielt taktische Volten.6 Ihr Gesicht Sergej Lawrow verkörpert dies: Mal gibt er sich weltmännisch, mal – wie bei einer Pressekonferenz im August 2015, bei der er leise Unflätiges ins Mikro fluchte – hemdsärmelig, mal konziliant und dann – wie im Fall Lisa – aufwieglerisch. Lawrows souveräner Umgang mit diesen Wandlungen macht vermutlich auch sein Faszinosum aus.


1.Foreignpolicy.com: Free Sergey Lavrov!
2.Die Welt: Die Sphinx in der eiskalten Luft des Kreml
3.Singhalesich ist eine der Amtssprachen auf Sri Lanka. Dhivehi ist Amtssprache auf den Malediven, mit denen die sowjetische Botschaft auf Sri Lanka Kontakte unterhielt.
4.zitiert nach: Tagesanzeiger: Der Manipulator
5.State.gov: Remarks With Russian Foreign Minister Sergey Lavrov
6.Stiftung Wissenschaft und Politik: Denkbare Überraschungen. Elf Entwicklungen, die Russlands Außenpolitik nehmen könnte

 

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Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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