Beim Marsch der Nachbarn, der am vergangenen Sonntag in zahlreichen belarussischen Städten stattfand, wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen über 420 Personen inhaftiert. Diesmal fanden Protestzüge und andere Aktionen in vielen unterschiedlichen städtischen Bezirken statt – eine neue Taktik, die verhindern soll, dass die Sicherheitskräfte gegen eine zentral organisierte Demonstration vorgehen können.
Belarus kommt weiterhin nicht zur Ruhe. Der langjährige Autokrat Alexander LukaschenkoAlexander Lukaschenko (geb. 1954, belarussisch: Aljaksandr Lukaschenka) ist seit 1994 Präsident von Belarus. Nach einem Studium der Agrarwissenschaften und Geschichte hatte er von 1975 bis 1982 verschiedene Funktionen innerhalb der sowjetischen Armee inne, bevor er diverse Parteiämter und die Leitung einer Sowchose übernahm. 1990 wurde er in den Obersten Sowjet (Parlament) der Belarussischen SSR gewählt. Nach eigener Aussage stimmte er gegen die Loslösung der Belarussischen Sowjetrepublik von der Sowjetunion. 1994 wurde Lukaschenko erstmals zum Präsidenten gewählt. Seitdem regiert er Belarus autoritär, das politische System des Landes ist auf seine Person zugeschnitten. Mehr dazu in unserer Gnose weigert sich sich seit August, mit der Bürgerbewegung und mit dem Koordinationsrat der OppositionDer Koordinationsrat der belarussischen Opposition ist ein am 18. August 2020 in Minsk gegründetes Gremium, das sich zum Ziel setzt, die Machtübergabe nach den gefälschten Wahlen in Belarus zu organisieren. Zu den 70 Gründungsmitgliedern des Rats gehörеn unter anderem die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch (geb. 1948) sowie die führenden Oppositionspolitikerinnen des Landes. Ins Leben gerufen wurde der Rat vor allem von Swetlana Tichanowskaja (geb. 1982) – parteilose belarussische Politikerin, die den Sieg bei der offenkundig gefälschten Präsidentschaftswahl 2020 für sich reklamiert. Da Tichanowskaja Belarus offenbar unfreiwillig in Richtung Litauen verlassen musste, wird sie im Rat durch eine Vertrauensperson vertreten. Gespräche aufzunehmen. Auch die Äußerungen Lukaschenkos vom vergangenen Freitag konnten die Lage nicht beruhigen. Der 66-Jährige hatte gesagt, dass er unter einer neuen Verfassung nicht mehr als Präsident zur Verfügung stehen werde. Eine mögliche Verfassungsreform wird seit Wochen diskutiert, von der Opposition allerdings als TäuschungsmanöverWarum Lukaschenko nicht freiwillig gehen wird Versinkt Belarus in der Krise? Während der Machtapparat immer noch auf Gewalt setzt, gehen die Proteste scheinbar unentwegt weiter. Alexander Klaskowski über Dialogangebote, die keine sind.
kritisiert. Am Vortag war Russlands Außenminister Sergej LawrowWeltgewandter Gentleman oder mausgrauer Apparatschik? Die Meinungen über den Außenminister Sergej Lawrow könnten unterschiedlicher nicht sein. Die einen sehen in ihm den verlängerten Arm des Kreml, der vor allem dazu da sei, um auf den Tisch zu hauen, die anderen die letzte Stimme der Vernunft in der russischen Exekutive. Mehr dazu in unserer Gnose zu einem Kurzbesuch in Minsk gewesen. Auch er hatte Verfassungsreformen eingefordert.
Solch tiefgreifende gesellschaftspolitische Prozesse„Wir brauchen keine starken Anführer – wir brauchen eine starke Gesellschaft“ Der Protest in Belarus und sein weibliches Gesicht: Philosophin Olga Shparaga im Interview mit Reformation.
äußern sich nicht nur in MusikSound des belarussischen Protests Umbruchzeiten sind höchst kreative Zeiten. Am besten zu beobachten ist dies derzeit in Belarus, wo die Musik aufblüht. Die Meduza-Redaktion hat reingehört und einen Soundtrack der Revolte zusammengestellt.
, Kunst und Kultur, sondern auch in der SpracheNeues belarussisches Wörterbuch „Lieben! Können! Siegen!“ – Das A bis Z der belаrussischen Proteste, zusammengestellt von Mikita Ilintschik für Republic.
. Anja Perowa hat für das belarussische Medienportal tut.by eine Erkundungstour unternommen – zu den neusten sprachlichen Ausformungen der Protestkultur.

Bänder (russ. lenty). Der Protest der Belarussen äußert sich nicht nur in gemeinsamen Spaziergängen. Es kommen dabei auch rot-weiße Bändchen aus unterschiedlichen Materialien zum Einsatz. Möglicherweise wäre das Volk nie darauf gekommen, hätte es nicht den stillschweigenden Kampf der Autoritäten gegen die Symbolik der Protestierenden gegeben. Als die weiß-rot-weißen FlaggenWeiß-Rot-Weiß ist der Protest Die Flagge des belarussischen Protests ist weiß-rot-weiß. Warum? Woher kommt sie? von den Balkonen entfernt wurden (übrigens noch vor den Wahlen), haben die Belarussen einen neuen Trick entwickelt – indem sie sie eben aus Bändchen bastelten, die schwerer zu entfernen sind.
Bussik (russ. busik). Dasselbe wie Kleinbus. Konkret bezeichnet dieser Begriff die Fortbewegungsmittel der SilowikiÄhnlich wie in Russland, bezeichnet der Sammelbegriff Silowiki auch in Belarus Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. . In der Regel sind es die Modelle Volkswagen Transporter T5, Ford Transit (auch Custom), Mercedes-Benz Sprinter und spezielle Volkswagen Crafter. Die Fahrzeuge sind farblich meist dunkel, gelegentlich auch weiß oder silber. Solche Fahrzeuge wurden natürlich auch früher von Spezialeinheiten verwendet, doch vermutlich nicht in solchen Mengen. In diesem Zusammenhang ist noch ein weiteres Wort entstanden: „Bussophobie“. Sie tritt auf, wenn man einen Bussik sieht und befürchtet, in diesen hineingezerrt zu werden.
Drahtzieher (russ. kuklowody). Da gibt es tschechische, amerikanische, litauische, ukrainische. Kurz – alle möglichen. In gewisser Hinsicht sind Drahtzieher die, die sich den Kosmonauten entgegenstellen. Doch wurden sie nie gesehen. Obwohl Alexander Lukaschenko der festen Überzeugung ist: Sie existieren. Das hat er bereits am 10. August verkündet: „Ein Gespräch zeigte uns, dass Drahtzieher am Werke sind. Eine der Linien von Drahtziehern führt nach Tschechien. Schon heute wird unser vereintes Hauptquartier aus Tschechien verwaltet, wo – verzeihen Sie mir – diese Schafe sitzen, die nichts verstehen, was man von ihnen will […] Sie hören nicht auf zu drücken und zu fordern: Bringt die Leute auf die Straße und führt Verhandlungen mit den Machthabern über eine freiwillige Machtübergabe.“ Die Belarussen zeigten sich nicht ratlos und druckten schnell „Geld von den DrahtziehernDies bezieht sich auf eine Aktion während der Straßenproteste, als falsche Dollarnoten verteilt wurden, auf denen Swetlana Tichanowskaja abgebildet war, dazu OMON-Leute oder eben Kartoffeln, die als belarussisches Lebensmittel schlechthin gelten. Die Urheber der Aktion wollten damit wohl die Aussage Lukaschenkos ironisieren, mit der er im August 2020 behauptet hatte, dass die Proteste von außen angestachelt werden und „gekauft“ seien.“ – das sind Dollarnoten mit den Bildern von Nina Baginskaja, Swetlana TichanowskajaSwetlana Tichanowskaja (geb. 1982, belarussisch: Swjatlana Zichanouskaja) ist eine parteilose belarussische Politikerin. Bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 ist sie als Kandidatin gegen den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko angetreten. Die Wahl war offensichtlich manipuliert, das offizielle Wahlergebnis von rund 80 Prozent für Lukaschenko war teils nachweislich gefälscht. Tichanowskaja, die den Wahlsieg zunächst für sich reklamiert hat, musste Belarus offenbar unfreiwillig in Richtung Litauen verlassen. , Alexander Lukaschenko, mit Ratten und Kartoffeln, was sich auf unterschiedliche Ereignisse und Witze bezieht.
Hündchen (russ. sobatschka). In den August fiel die Zeit der Pro-Lukaschenko-Kundgebungen„Wir sollten keine Feinde sein“ Ein Spiegelbild-Experiment: Ein Autor auf zwei Demos – zuerst bei einer für Lukaschenko, dann bei einer gegen Lukaschenko. Er hat sich auf beiden Demos mit Menschen unterhalten, die sich in Alter, Geschlecht und familiärer Situation ähneln – nur eben unterschiedlicher Meinung sind. Alexander Tschernych für Kommersant. . Die Teilnehmer riefen eine ganze Reihe von Losungen. Vom einfachen „Be-la-rus!“ bis zum Mem „Batka voran, das Volk geht mit dran“. Doch am liebsten schrien die Belarussen „Sa Batku“ (dt. Für BatkaBatka (dt. in etwa: Väterchen, Vattern) ist ein freundlicher Spitzname für den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der Ursprung ist nicht klar, laut einer These entstand die Bezeichnung ursprünglich als Spottname. Ein weiterer gängiger Spitzname für den belarussischen Präsidenten lautet Luka. In Anlehnung an ein bekanntes Märchen-Motiv, benutzt die belarussische Opposition häufig den Spitznamen (schnauzbärtige) Kakerlake. Vor diesem Hintergrund wurden Hausschuhe – ein beliebtes Mittel im Kampf gegen Kakerlaken – zu einem Protest-Symbol.), die in Massenchören in die Forderung „So-batsch-ku!” (dt. Ein Hündchen!) mutiert. Selbstverständlich erschien sofort nach dieser Entdeckung ein Video, auf dem vor die Antwort der Demonstranten Fragen montiert wurden wie: „Wen werden wir füttern?“ Das Hündchen natürlich.
Jabating. Ironische Bezeichnungen für Pro-Lukaschenko-Kundgebungen. Geht zurück auf den Slogan „Ja/My Batka“ (dt. Ich/Wir sind Batka). Manche denken, dass russische PolittechnologenPolittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert. Mehr dazu in unserer Gnose und Propagandisten ihn sich ausgedacht haben, da die Belarussen Lukaschenko fast nie so nennen (außer freilich Natalja EismontNatalja Eismont (geb. 1984, belarussisch: Natallja Eismant) fungiert seit 2014 als Pressesprecherin Alexander Lukaschenkos. Die EU hat sie am 6. November 2020 auf die Liste der einflussreichen Personen aus dem Machtapparat Lukaschenkos gesetzt, die mit einem Einreiseverbot belegt wurden.). Sehr schnell verkürzten Internet-Scherzkekse die Losung der Demonstranten zu einem donnernden „Ja Batka“. Dann gab es bald darauf die bekannten Jabatki (als Bezeichnung für die Teilnehmer der regierungsfreundlichen Kundgebungen) und Jabating (eine eben solche Kundgebung).
Kette (russ. zep). Wir sprechen von Solidaritätsketten, die häufig aus dem Nichts in unterschiedlichen Stadtteilen nicht nur von Minsk, sondern in ganz Belarus entstehen. Wer weiß: Vielleicht wurde der gängige Satz „Mehr als drei dürfen sich nicht versammelnAlexander Lukaschenko hat 2011 im Zuge damaliger Proteste eine Ergänzung zum Gesetz über Massenveranstaltungen erlassen, wonach politische und soziale Proteste (auch Flashmobs) nur mit entsprechender behördlicher Genehmigung stattfinden dürfen. Medien und Menschenrechtsorganisationen sehen darin de facto ein Verbot von Versammlungen von mehr als drei Personen im öffentlichen Raum und damit eine Einschränkung der von der Verfassung garantierten Versammlungsfreiheit.“ erdacht, weil man so etwas vorausgeahnt hat? Denn: Zwei Menschen sind noch keine Kette, aber drei – durchaus. Die größte Kette dieser Art war wohl die Menschenkette am 22. August. Sie verlief von der OkrestinaDas Okrestina Gefängnis (belarussisch: Akreszina) ist ein sogenanntes „Zentrum zur Isolation von Rechtsbrechern“ im Südwesten der belarussischen Hauptstadt Minsk. Der Name geht auf die Straße zurück, an der das Gefängnis liegt. Sie ist nach Boris Okrestin benannt, einem Piloten, dem die Auszeichnung Held der Sowjetunion verliehen wurde. Während der Massenproteste gegen die Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 wurde das Gefängnis zum Symbol für die Brutalität des Sicherheitsapparats von Präsident Lukaschenko. Viele der hier festgesetzten Demonstranten berichteten von Folter und entwürdigenden Behandlungen durch die Sicherheitskräfte. bis KuropatyKurapaty (russ. Kuropaty) ist ein Gebiet in der Nähe der belarussischen Hauptstadt Minsk, das dem sowjetischen Innenministerium NKWD während der Stalinschen Säuberungen als Hinrichtungsstätte diente. Verschiedenen Schätzungen zufolge wurden hier bis zu 250.000 Menschen getötet und in Massengräbern verscharrt. In der sowjetischen Propaganda wurde Kuropaty als ein Ort nationalsozialistischer Verbrechen dargestellt. .
Kosmonauten (russ. kosmonawty). Wer das ist, das seht ihr auf dem Foto. Meistens bezeichnet dieses Wort OMONOMON (Otrjad Mobilny Osobogo Nasnatschenija – dt. „Mobile Einheit besonderer Bestimmung“) umfasst verschiedene Spezialeinheiten der belarussischen Miliz (Polizei). Sie werden vor allem bei Demonstrationen und Massenveranstaltungen herangezogen, aber auch bei Geiselnahmen, Aktionen gegen organisierte Kriminalität oder für den Objektschutz eingesetzt. Während der Proteste im Jahr 2020 ist der OMON zum Symbol für exzessive Gewalt und Repressionen von Seite des belarussischen Staates gegen die Demonstranten geworden. -Kräfte in Uniform und mit Helm. Die volle Ausrüstung umfasst außerdem Schulterprotektoren, Handschuhe, Ellbogenschützer und ähnliches Gedöns, wie Gamer es nennen würden. Der Grund für ihren Spitznamen ist offensichtlich – ihre Uniform erinnert wirklich an einen Raumanzug.
Oliven (russ. oliwki). So nennt man im Volksmund die OMON-Mitarbeiter in ihrer olivgrünen Kleidung. Die Existenz einer Uniform in solch einem Farbton ist kein Geheimnis, man hat sie früher sogar im Fernsehen gezeigt. Jetzt haben wir hier dargelegt, warum man die OMON-Leute frank und frei „Oliven“ nennen darf und keine Angst haben muss sich zu vertun. Übrigens nennen die Leute die Silowiki in ihren schwarzen Standardklamotten auch Ölbäume und Johannisbeeren – ein komplettes Feinkostgeschäft findet sich hier.
Partisanieren (russ. partisanit). Das Wort hat seine Bedeutung nicht wesentlich verändert, eher erlebt es eine Renaissance. Die, die „partisanierenDer Partisan ist eine historisch-mythologische Figur, die in Belarus eine vielschichtige Bedeutung hat. Vor allem geht sie zurück auf das sowjetische Narrativ von den belarussischen Partisanen, die sich der Nazi-Okkupation im heroischen Kampf widersetzt haben. Zudem verbirgt sich hinter dem Begriff ein kulturelles Guerilla-Konzept, das von den Machern der Kunstzeitschrift pARTisan entwickelt wurde. “, gehen nicht etwa zu Protesten, sondern beteiligen sich an Untergrundaktivitäten. Zum Beispiel drucken sie Wandzeitungen, verteilen Flugblätter, kleben Sticker und helfen Freiwilligen. Oder sie hängen an sehr ungewöhnlichen Orten weiß-rot-weiße FlaggenDie rot-grüne Flagge wurde 1995 zur offiziellen Flagge der Republik Belarus, sie ist angelehnt an die Flagge der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Damit hat sie die weiß-rot-weiße Flagge ersetzt, die nach dem Zerfall der Sowjetunion Nationalflagge war. Nach den massiven Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl 2020 steht diese als Symbol für große Teile der Opposition. Die rot-grüne Flagge gilt demgegenüber als Symbol für die Anhänger des Lukaschenko-Regimes. auf.
Prostituierte und Drogensüchtige (russ. prostitutki i narkomany). Sprich: Protestierende und Demonstranten. So nannten sich irgendwann die Belarussen selbst auf Anregung von Lukaschenko. Die „Drogensüchtigen“ tauchten am 10. August auf, als auch die Geschichte mit den Drahtziehern geschah. Daher kamen dann auch die „SchafeTatsächlich war es Alexander Lukaschenko, der die abwertende Bezeichnung „Schafe“ für Demonstrierende geprägt hatte – und zwar für die Anhänger Tichanowskajas. Am 10. August 2020 diffamierte er sie mit diesen Worten bei einem Treffen mit dem Exekutivsekretär der GUS. Streikende Arbeiter griffen dies auf ihren Plakaten auf und schrieben: „Wir sind keine Schafe“.“. Mit den Prostituierten ist es ein bisschen komplizierter. Über sie hatte Lukaschenko schon vor der Wahl gesprochen, am 4. August, hatte aber niemanden wirklich so genannt: „Wir, der Staat – werden den Kampf im Internet nie gewinnen, da das gelbe Schmuddel-Presse ist. Wir können uns nicht auf ein derart vergilbtes Niveau hinunterbegeben und alle, die uns nicht gefallen, – entschuldigen Sie den Ausdruck – Schlampen und Nutten nennen.“ Offensichtlich passten die Prostituierten dermaßen gut zu den Drogensüchtigen und Schafen, dass man entschied, sie doch einzureihen.
Shodino. Wenn jemand in der zweiten Hälfte 2020 gesagt hat, dass er nach Shodino fährt, war das höchstwahrscheinlich nicht einfach eine Vergnügungsfahrt in die Stadt in der Nähe von Minsk. Was hinter den Worten „in die Okrestina kommen“ stand, wussten die Belarussen auch früher, aber in das Gefängnis Nr. 8 in Shodino wurden nicht so viele festgenommene und inhaftierte Minsker gebracht. Doch jetzt ist die Adresse Sowjetskaja 22A wohlbekannt bei denen, die Briefe dorthin schreiben. Und wohlbekannt ist auch, was Maria KolesnikowaMaria Kolesnikowa (geb. 1982, belarussisch: Maryja Kalesnіkawa) ist eine belarussische parteilose Oppositionspolitikerin. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 leitete sie das Wahlkampfteam des Kandidaten Viktor Babariko, der im Vorfeld der Wahlen festgenommen wurde. Kolesnikowa wurde am 7. September 2020 von unbekannten Männern in Minsk verschleppt. Offenbar sollte sie gezwungen werden, das Land in Richtung Ukraine zu verlassen. Allerdings verhinderte sie ihre Ausreise, indem sie ihren Pass zerriss. Seitdem befindet sie sich in Untersuchungshaft. Am 16. September 2020 wurde gegen die studierte Flötistin Anklage wegen „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“ erhoben. eben dort für die unglaublichen Belarussen durchmacht.
Spazierengehen (russ. guljat). Dank der legendären Nina Baginskaja, die zum Symbol des Prostestes wurde, haben die Belarussen einen neuen Satz gelernt: „Ich gehe grad spazieren.“ Genau das sagte die Rentnerin im August, als Vertreter der Sicherheitskräfte plötzlich Fragen hatten, an sie und ihre Flagge. Heute sagen viele Belarussen, wenn sie auf Protestaktionen sind, nicht, dass sie demonstrieren. Sie gehen grad spazieren. Und die Hauptsache dabei ist, dass allen völlig klar ist, was das heißt. In den Chats der einzelnen Bezirke lautet daher die Frage oft: „Wollen wir heute spazierengehenDieser Ausspruch bezieht sich auf die bekannten Worte „Ja guljaju“ (dt. „Ich gehe spazieren“) der belarussischen Protestikone Nina Baginskaja. Die 73-Jährige ist seit vielen Jahren nahezu bei allen wichtigen Demonstrationen mit einer weiß-rot-weißen Fahne, einem Symbol der Opposition, zugegen. Dabei wurde sie unzählige Male festgenommen. Zudem hat sie zahlreiche Geldstrafen kassiert. Auf die gängige Frage von OMON- oder Milizmitarbeitern, was sie denn da mache, antwortet sie gewöhnlich, dass sie spazieren gehe. Ein Ausdruck, der sich umgangssprachlich für „protestieren“ eingebürgert hat. ?“
Teestündchen (russ. tschajepitije). Die Zusammengehörigkeit der Belarussen vor dem Hintergrund der diesjährigen Ereignisse ist in ein neues Gesprächsformat mit den Nachbarn eingeflossen: das Teestündchen. Erst gab es Stadtteil-Chats auf TelegramDer wegen seiner Verschlüsselungstechnologie beliebte Messenger Telegram spielt eine wichtige Rolle bei den Protesten in Belarus. Unabhängige Medien und Journalisten betreiben dort ihre eigenen Kanäle, da ihre Internetseiten durch das Regime blockiert werden. Zudem gibt es Kanäle zum Informationsaustausch, u. a. auch solche, die private Daten wie Adressen, Telefonnummern etc. von Milizionären, OMON- oder KGB-Mitarbeitern sammeln und verbreiten, die an Festnahmen und Misshandlungen beteiligt waren. (noch so eine Erscheinung aus 2020), wo sich Leute miteinander unterhielten. Doch sehr schnell wurde das alles entvirtualisiert und man traf sich: trank Tee, brachte Torten und andere süße Sachen mit, lud Musiker ein und tanzte zu Livemusik. Kurz, es war herzig. Besonders berühmt für seine Teestunden im Hof wurden der Stadtteil Nowaja BorowajaNowaja Borowaja ist ein relativ neuer Wohnkomplex am nordöstlichen Rand der belarussischen Hauptstadt Minsk. Der Bezirk, in dem viele Menschen aus der IT-Industrie leben, geriet Mitte November 2020 in die Schlagzeilen, als er mehrere Tage ohne fließendes Wasser und Heizung auskommen musste. Die Bewohner von Nowaja Borowaja gelten bei den Protesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko als besonders aktiv. So wurde von Medien und Aktivisten vermutet, dass die Behörden dem Bezirk Heizung und Wasser als Repressionsmaßnahme abgestellt hatten., der Hof beim Platz des WandelsDer Platz des Wandels Volksfeststimmung zwischen Plattenbauten: Wie ein Minsker Hinterhof zum Symbol der Hoffnung für ein neues und freies Belarus wurde. , Grushville und die Feste in der OsmolowkaOsmolowka ist ein Stadtteil von Minsk. Um 1949 von deutschen Kriegsgefangenen erbaut, ist er geprägt von zumeist zweigeschossigen Häusern. Osmolowka gilt als eines der grünsten Viertel der belarussischen Hauptstadt. 2017 gab es Pläne, in dem Stadtteil mehrere Häuser abzureißen. Eine breite Nachbarschaftsinitiative wehrte sich bislang erfolgreich dagegen; mit zahlreichen Nachbarschaftsfesten gilt Osmolowka seitdem auch als ein Zentrum alternativer Kultur in Minsk. .
23.34. Ist keineswegs eine Uhrzeit, sondern die Nummer des Paragraphen für Ordnungswidrigkeiten. Den Inhalt kennt mittlerweile fast jeder Belarusse, deswegen werden wir hier nichts erklären. Wenn ein Freund erzählt, dass man ihn „nach 23.34“ verurteilt hat, muss man ihn nichts weiter fragen. Er war spazieren, denn: Es gab bisher noch keinen Präzedenzfall, wo ein Jabating mit diesem Paragraphen geahndet wurde