Medien

Im Dschungel der Entmenschlichung

Die Beleidigung von Oppositionellen durch staatliche Medien sowie durch den Staatschef persönlich hat in Belarus Tradition. Bereits in früheren Jahren nannte Alexander Lukaschenko, dessen Machtinstrument eine gelenkte Staatswirtschaft ist, private Unternehmer „von Läusen befallene Flöhe“. Seit dem Beginn der Proteste am 9. August 2020 greifen staatliche Medien wieder verstärkt auf diffamierende Tiervergleiche zurück. Am 21. März 2021 sorgte einmal mehr Grigori Asarjonok für einen Skandal, der in seiner TV-Sendung bekannte Oppositionelle als Ratten bezeichnete. Asarjonok gehört zu den bekanntesten Moderatoren in den Staatsmedien. Im Fernsehen präsentiert er nicht selten einen Galgenstrick in Verbindung mit Fotos von führenden Oppositionellen wie Swetlana Tichanowskaja oder Pawel Latuschko. 

Die belarussische Journalisteninitiative mediaIQ gibt in einem Stück für das Medium The Village Belarus Einblicke in das verbale und illustrative Diffamierungsarsenal, das staatliche Medien gegen die Demokratiebewegung verwenden.

Quelle The Village Belarus

Grigori Asarjonoks neuester Beitrag über „Volksverräter“ wurde am 21. März ausgestrahlt; es ging um den ehemaligen belarussischen Botschafter in der Slowakei Igor Leschtschenja. Am Schluss der Sendung rief der Moderator die Zuschauer auf: „Glaubt nicht an die Reue der Ratten, für ihre Beteuerungen werden wir teuer bezahlen.“ Daraufhin bekamen die Zuschauer eine Videomontage gezeigt: links im Bild – Aufnahmen von Ratten, rechts – Bilder der ehemaligen BT-Moderatoren Jewgeni Perlin und Denis Dudinski, von Igor Leschtschenja (er wurde gleich zwei Mal gezeigt), der Schwimmerin Alexandra Gerassimenja, Swetlana Tichanowskaja, Pawel Latuschko und Olga Karatsch. Untermalt war die Videosequenz mit einem Lied über Ratten, die „in Schlösser in Übersee fliehen“.

Entmenschlichung der einen und Vergöttlichung der anderen

Das ist Dehumanisierung – ein Verfahren, bei dem „Fremde“ mit Tieren oder sonstigen Wesen („Unmenschen“, „Parasiten“, „Watniki“) verglichen werden, das heißt sie werden für Propaganda- und Manipulationszwecke entmenschlicht. Demgegenüber steht die Vergöttlichung des „Eigenen“ oder seiner Handlungen – so hat zum Beispiel der CTV-Moderator Jewgeni Pustowoi Lukaschenko mit Moses verglichen. 

Die Methode der Dehumanisierung wird von den belarussischen Staatsmedien gerne verwendet, um Protestierende und Lukaschenko-Gegner zu diskreditieren. Besonders beliebt ist sie bei dem CTV-Moderator Grigori Asarjonok. Am 12. Oktober vergangenen Jahres wandte er sich mit folgenden Worten an die Demonstranten: „In der Herde oder im Internet seid ihr mutig, aber ihr werdet fliehen wie feige Schakale.“

Am 24. Oktober sagte Asarjonok in seiner Sendung Geheime Triebfedern der Politik – 2020 zu dem Politologen Andrej Lasutkin, er würde einem Insektenforscher gleichen, und erklärte: „Sie beschäftigen sich schon lange mit diesen Käfern, Spinnen, Raupen, Schmetterlingen und anderen Gliedertieren, die man die belarussische Opposition nennt.“

Politologen als Spezialisten für Getier

Wenige Tage später, am 28. Oktober, kommentierte Asarjonok die Solidaritätsaktionen im Nationalen Opern- und Balletttheater und der Belarussischen Staatlichen Philharmonie: „Die Provokateure tun alles, damit die Menschen nicht mehr in Ruhe eine Vorstellung  genießen können. Sie trampeln mit ihren dreckigen Füßen und Seelen in die Theater, Ausstellungen und Kinos. Iwan Bunin hatte fürwahr recht, als er sagte: ‚Eines der auffälligsten Erkennungsmerkmale einer Revolution ist die ungezügelte Gier nach Spiel, Verstellung, Pose, Schaubude. Im Menschen erwacht der Affe.‘ Aber wir werden diesen Affen zurückdrängen, mit einem hübschen Lied und den Spezialmitteln des Innenministeriums.“

Hier verschleiert die Entmenschlichung Gewalt, denn es ist psychologisch einfacher, Gewalt gegen Tiere als die gegen Menschen zu rechtfertigen.

In der Sendung Geheime Triebfedern der Politik – 2.0 vom 13. Februar 2021 nahm Asarjonok die gerade abgehaltene Allbelarussische Volksversammlung zum Anlass, die „Feinde“ zu dehumanisieren:

„Unsere Feinde haben sie gehasst (die Vollversammlung – Anm. mediaIQ). Haben die Delegierten verleumdet, eingeschüchtert und gelogen. Haben ihre persönlichen Daten veröffentlicht und mit Rache gedroht. Haben angekündigt, erneut Menschen auf die Straßen zu bringen. Doch bei dem Versuch, uns zu spalten, haben sie sich gegenseitig zerfleischt, die Schlangen und Ratten, Spinnen und Kröten.“

Hier sind ein paar Beispiele für Dehumanisierung aus anderen staatlichen Medien:

Dressierte Hunde mit Muttis Smartphone

Am 1. September 2020 verglich der TV-Sender Belarus 1 die Studenten, die an diesem Tag auf die Straße gingen, mit dressierten Hunden, die über „von Muttis Geld gekaufte Smartphones Befehle erhalten: gib Laut, Pfötchen, sitz oder lauf.“

Auch Andrej Mukowostschik, Kolumnist der Zeitung SB. Belarus segodnja, griff in seinen Beiträgen wiederholt zur Methode der Dehumanisierung. So bezeichnete er die Gegner des Regimes als „Schreihähne“, „tollwütige Ratten“, „Aasgeier“ oder „Aasfresser“ und weibliche Demonstrantinnen als „Herde von aggressiven, blökenden und (oft einsamen) Blauziegen“. In seiner jüngsten Kolumne schreibt er: „Ihr seid Bander-logen, ihr seid einfach Fleisch. Hände weg von dem, was andere aufgebaut haben.“ 

Bandar-log heißt der Stamm der verstoßenen Affen in Kiplings Dschungelbuch.   

Und hier eine Karikatur aus SB. Belarus segodnja:

„Der Frauentag bei den Blauziegen / Der Herbst hat uns verblödet / Liebe belarussische Frauen! Es ist kein Geheimnis – ihr seid verschieden. Und anstatt nun Lobeshymnen anzustimmen, wie wundervoll, schön, klug und stark ihr doch in der Mehrzahl seid, möchte ich heute lieber über die Ausnahmen sprechen.“ Im Bild ist der Name Olga Karatsch eingeblendet sowie das Logo des Youtube-Kanals Ein Land zum Leben.
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Alexander Lukaschenko

Alexander Lukaschenko (geb. 1954, belaruss. Aljaxandr Lukaschenka) ist seit 1994 Präsident der Republik Belarus. Er wurde in der ersten demokratischen Präsidentschaftswahl des seit 1991 souveränen Staates gewählt. Seither baute er systematisch die Gewaltenteilung ab, sein Regime unterdrückt freie Medien sowie die Opposition des Landes. 

Alexander Lukaschenko (belaruss. Aljaxandr Lukaschenka) wurde 1954 in der Ortschaft Kopys im Osten der belarussischen sowjetischen Teilrepublik geboren. Er regiert seit 1994 ununterbrochen als Präsident der seit 1991 unabhängigen Republik Belarus. Für viele osteuropäische Beobachter hatte das von ihm seit seiner Wahl installierte politische System eine Vorbildfunktion in Osteuropa, unter anderem auch für die Errichtung der sogenannten Machtvertikale in Russland.1 Die verabschiedeten Verfassungsänderungen stärkten die Macht des Präsidenten und hoben die Gewaltenteilung nach und nach weitgehend auf.

Trotz des vollständig auf seine Person ausgerichteten Systems verzichtet Lukaschenko nicht auf seine formelle Legitimierung durch Wahlen. Er lässt sich alle fünf Jahre durch den verfassungsmäßigen Souverän, das belarussische Volk, im Amt bestätigen. Diese Wahlen sind jedoch weder frei noch fair. Die Ergebnisse werden ebenso stark durch die konsequente Ausgrenzung der politischen Opposition beeinflusst wie durch die Gleichtaktung staatlicher und die Einschüchterung freier Medien. Um ein besonders hohes Wahlergebnis abzusichern, organisiert die zentrale Wahlkommission regelmäßig gezielte Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen.2

Bisherige Strategien des Machterhalts

Maßgebliche Gründe für den bis Ende 2019 anhaltenden Erfolg des Modells Lukaschenko sind:

1) Lukaschenko war von Anfang an ein populärer Herrscher, der die „Sprache des Volkes“ sprach. Er griff Stimmungen in „seiner“ Bevölkerung auf und ließ sie in dem ihm eigenen Präsidialstil in populistische Verordnungen einfließen. Während ihm die Opposition vorwarf, weder Russisch noch Belarussisch korrekt zu sprechen, sprach er die „Sprache des einfachen Mannes“3 – so wie die Mehrheit der Bevölkerung. Diese symbolische Nähe zum Volk wurde ökonomisch abgesichert durch eine Klientelpolitik, die wichtigen sozialen Gruppen ein stabiles Einkommen über dem regionalen Durchschnitt sicherte: Beamten in Verwaltung und Staatsbetrieben, Angehörigen von Militär, Miliz und Geheimdiensten, Bewohnern ländlicher Regionen sowie Rentnern.

2) Die relative Stabilität von Lukaschenkos Wirtschaftssystem beruhte bis Anfang 2020 auf einer konsequenten Umverteilung indirekter russischer Subventionen. Diese bestanden vor allem darin, dass Belarus bisher für russisches Rohöl hohe Ermäßigungen erhielt. Die im Land hergestellten Erdölprodukte wurden aber zu Weltmarktpreisen abgesetzt. Mit solchen indirekten Subventionen aus Russland wurde die petrochemische Industrie zum größten Devisenbringer des Landes.4 Eine weitere wichtige Einnahmequelle war das Kalisalz aus Soligorsk (Salihorsk), dessen Förderstätten zu den weltweit größten Produzenten dieses Minerals gehören. Darüber hinaus verfügt Belarus nur über Holz als nennenswerten Rohstoff.

Die strukturelle Abhängigkeit von der russischen Wirtschaft führt immer wieder zu finanziellen Engpässen in der Aufrechterhaltung des Sozialstaats. Lukaschenko gleicht diese bisher zum Teil durch internationale Kredite aus, insbesondere durch Eurobonds, die für Belarus günstiger sind als die Kredite der russischen Seite.

3) Alexander Lukaschenko war ein indirekter Profiteur des Kriegs im Osten der Ukraine. Er war bereits 2015 durch die Etablierung von Minsk als Treffpunkt für die Gespräche im Normandie-Format wieder zum Verhandlungspartner für die Europäische Union geworden. Im Februar 2016 hob die EU ihre Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko und hohe Beamte seiner Administration auf. Bedingung dafür war die zuvor erfolgte Freilassung von politischen Gefangenen. Auch diese Entscheidung ermöglichte es Lukaschenko, sich wieder als Gesprächspartner der Europäischen Union zu etablieren. Auf diese Weise konnte Lukaschenko weiterhin seinen einzigen geopolitischen Trumpf ausspielen: Die Lage der Republik Belarus zwischen Russland und der EU. 

Neben dem systematischen Machterhalt bestand der rationale Kern von Lukaschenkos Herrschaft bis zum Beginn des Jahres 2020 vor allem in der Gewinnmaximierung aus dem taktischen Lavieren zwischen Russland und der EU. Daraus resultierten immer wieder politische und wirtschaftliche Krisen – sowohl im Verhältnis zum Westen als auch zum Osten des Kontinents.

Was hat sich 2020 verändert?

Im Vorfeld und während der Präsidentschaftswahl im August 2020 hat das Ansehen von Alexander Lukaschenko in breiten Teilen der Gesellschaft deutlich abgenommen. Im Wesentlichen haben folgende sechs Faktoren dazu beigetragen:

Das wirtschaftspolitische Modell von Belarus funktioniert vor allem aufgrund eines verstärkten Drucks aus Moskau nicht mehr. Die Russische Föderation verlangt im Gegenzug für die Fortsetzung indirekter Subventionen weitreichende politische Zugeständnisse zu einer vertieften Integration. Alle Einwohner der Republik Belarus zahlen den Preis für die derzeitige Wirtschaftskrise, da sie im Alltag die stetig sinkenden Realeinkünfte spüren.

Lukaschenko spricht vor Anhängern in Minsk, August 2020 / Foto © Jewgeni Jertschak, Kommersant

Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass das klassische Umverteilungsmodell der belarussischen Wirtschaft an seine Grenzen stößt, weil die Produkte vieler Staatsbetriebe im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt verlieren. Es besteht dringender Reformbedarf in der Wirtschaft, um die Arbeitsplätze in diesen Industriebetrieben zu retten. Symptomatisch ist vor diesem Hintergrund auch der beginnende Verlust der Unterstützung des Lukaschenko-Regimes durch die klassische Wählergruppe der Arbeiter.

Wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen gingen einher mit gravierenden Fehlern im Seuchenmanagement: Lukaschenkos Weigerung, die Folgen der Covid-19-Pandemie für Belarus anzuerkennen, hat eine neue Form zivilgesellschaftlichen Selbstschutzes aktiviert – die Bürger vernetzten sich, begaben sich in die selbst verhängte Quarantäne, während die Unternehmer mit eigenen Ressourcen Masken zum Schutz des medizinischen Personals in öffentlichen Krankenhäusern produzierten. Folge war ein Vertrauensverlust in weiten Teilen der Gesellschaft, die Angst vor Covid-19 haben und gezwungen waren, aus eigener Kraft gegen die Folgen zu kämpfen.

Zu den offensichtlichen Fehlern von Lukaschenko gehört auch das Ausmaß der Wahlfälschungen und die willkürliche Festlegung des Wahlergebnisses auf 80,11 Prozent. Viele Menschen im Land bewerten diesen Schritt als einen Schlag ins Gesicht jener Bürger der Republik, die nicht eng mit dem Sicherheits- und Verwaltungsapparat des Präsidenten Lukaschenko verbunden sind. Viele Beobachter sind sich einig, dass ein gefälschtes Ergebnis von etwa 53 Prozent weitaus weniger Menschen aufgebracht hätte. Doch nicht nur die Opposition, sondern auch große Teile der zuvor als apolitisch geltenden Gesellschaft wollten offenbar nicht in diesem Ausmaß und in dieser Unverfrorenheit belogen werden. 

Einige Beobachter argumentieren vor diesem Hintergrund, dass Lukaschenko in einer anderen Wirklichkeit lebe als Millionen von Belarussen: Während der Präsident immer noch glaube, bei den Protesten mit den Methoden aus den analogen 1990er Jahren weiter durchregieren zu können, hätten sich nicht nur junge Menschen längst in einer digitalen Wirklichkeit wiedergefunden, in der sie sowohl lokal, als auch global vernetzt sind. Die Geheimdienste haben der horizontalen Mobilisierung in den sozialen Netzwerken, allen voran in Telegram, kaum etwas entgegen zu setzen. 

Die Gewalt gegen die Protestierenden unmittelbar nach der Wahl schmälert Lukaschenkos Rückhalt und Legitimität in der Gesellschaft genauso wie die systematische Folter in den Untersuchungsgefängnissen.
So sind die Arbeiter in den Staatsbetrieben nicht in den Streik getreten, um ihre Arbeitsplätze zu sichern, sondern weil für sie eine rote Linie überschritten war: Viele von ihnen glauben, dass Lukaschenko Krieg gegen das eigene Volk führt.

Aus diesen Gründen kam es in Belarus nach der Präsidentschaftswahl 2020 zu den größten Protesten in der Geschichte der Republik. Lukaschenkos Weigerung, die Wirklichkeit eines großen Teils der Gesellschaft auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn auf diese einzugehen, hatte aber noch eine nicht intendierte Nebenwirkung: Mit dieser Weigerung einigte der Präsident ungewollt landesweit breite Gesellschaftsschichten, die sich bei den Protesten zum ersten Mal unter der weiß-rot-weißen Flagge gegen den Präsidenten versammelten – Ärzte, Arbeiter, Künstler, Programmierer, Jugendliche, Rentner und dies nicht nur in Minsk, sondern in vielen Bezirks- und Kreisstädten. Für sie alle ist klar, dass die Verantwortung für den Ausbruch staatlicher Gewalt in der Republik Belarus bei Alexander Lukaschenko liegt.

Aktualisiert: 24.08.2020


1.Belarusskij Žurnal: «Belarusprovinilaspered vsem postsovetskim prostranstvom»
2.osce.org: International Election Observation Mission: Republic of Belarus – Presidential Election, 11. October 2015
3.Belorusskij Partizan: Pavel Znavec: Lukašenko i belorusskij jazyk
4.Germany Trade & Invest: Wirtschaftstrends Jahresmitte 2016 – Belarus
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