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Editorial: Erinnerung

„Die Erinnerungen in meiner Familie an den Krieg brechen alle irgendwann ab. Oder sie haben keinen Anfang. Oder sie beginnen erst nach dem Krieg. Es sind keine schönen und auch widersprüchliche Geschichten, über die nicht viel gesprochen wurde.“

Dieses Editorial ist die Summe eines Versuchs. 75 Jahre nach Kriegsende in Europa hatten wir als dekoder-Redaktion die Idee, ein Echo zu geben auf eine Publikation in unserem Partnermedium Meduza: In Weißt du, da war Krieg erzählen Mitarbeiter des online-Magazins ihre Großeltern-Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg. Zum 75. Jahrestag antworten wir mit Erinnerungen aus der dekoder-Redaktion, gerade weil bei uns mit Декодер – читая Европу (dekoder – Europa lesen) seit Ende vergangenen Jahres der Austausch in beide Richtungen möglich ist.

Doch es ist schwierig. Denn das Erinnern an den Krieg in Deutschland ist etwas anderes als in Russland. Die deutschen Geschichten handeln von Schuld („Irgendwann wurde mir klar, dass es gar nicht so normal ist, zwei Opas zu haben, die im Dritten Reich Richter waren.“ ), von erkannter Schuld („Nach allem, was die Deutschen verbrochen haben, ist keine Versöhnung mehr möglich. Nimm die Beine in die Hand und flieh!“) von weniger Schuld („Da war der vorsichtige Stolz meines Opas, weil sein Vater seine Funktion als Blockwart genutzt hatte, um im Krieg Juden zu verstecken“) – kurz vom Gestalten, Verwalten, Ertragen des eigenen, in gewisser Hinsicht selbst geschaffenen Horrors, vom Überleben, selten vom Verhindern.

Ist es schwierig, den russischen Geschichten deutsche zur Seite zu stellen? Warum gibt es Unbehagen, die Erinnerungen ins Netz zu stellen? Warum teilweise Bedenken vor der Familie? Immer noch. 75 Jahre danach. Wir nehmen es wahr und tun es trotzdem, denn hier gilt Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes außer man tut es. 
Auch wenn es ein Versuch bleibt.

eure dekoderщiki

Source dekoder

Deutsch
Original
Leonid A. Klimov, Wissenschaftsredakteur:
Polina Stepanowna war die Cousine meines Opas. Sie lebte in Sankt Petersburg, und nach Petersburg zu fahren, bedeutete immer, zu Tante Panja zu fahren. So nannten wir sie. Wenn wir kamen, brach der Esstisch unter den Köstlichkeiten zusammen. Schon auf dem Weg hatte man mir gesagt: Es wird aufgegessen! Es gab für Tante Panja keine größere Kränkung, als etwas auf dem Teller liegenzulassen. Nach dem Essen kehrte sie mit der Handkante die Krümel auf dem Tisch zusammen und steckte sie sich in den Mund. 
Tante Panja war eher klein, dünn, hatte ein rundes Gesicht und große Augen, ein singendes Lachen und lautlose Tränen. Und immer redete sie über die Blockade.
Es gab viele Geschichten. Doch hinter allen Erzählungen stand eines: der Hunger. Er war verzehrend, existentiell, vor seinem Hintergrund waren sogar die Deutschen zwar immer noch das absolute, aber dennoch abstrakte Böse. Der Hunger war überall. Vor Bomben konnte man sich verstecken, vor dem Hunger nicht. Er war allgegenwärtig.
Zu ihrem „Blockadegeburtstag“ bekam sie von ihrer Mama eine Porzellantasse geschenkt. Ein Gegenstand von überwältigender Schönheit, bemalt mit paradiesischen Blumen. Aber völlig sinnlos: Schon damals hatte sie einen Sprung, trinken konnte man nicht aus ihr. Sie hatte 65 Gramm Brot gekostet – eine halbe Tagesration. 
Doch selbst Jahrzehnte nach Kriegsende war sie das wertvollste Stück im Haus, niemand durfte sie berühren. Als Tante Panja starb, konnte ich mir aussuchen, was ich haben wollte, und ich entschied mich für die Tasse. Da nahm ich sie zum ersten Mal in die Hand. Sie und die Angst und den Schmerz, den sie barg.
Леонид А. Климов, Научный редактор:
Полина Степановна была двоюродной сестрой моего деда. Она жила в Петербурге и поехать в Петербург означало поехать к тете Пане, как ее часто называли. Потом это изменилось, Петербург стал моим собственным, а вот Ленинград так и остался ее. 
Она жила вместе с мужем в маленькой квартире на проспекте Просвещения. Мы приезжали, стол в гостиной ломился от еды. И уже по пути меня предупреждали – съесть надо будет все. Пожалуй, не было для тети Пани большего оскорбления, чем если что-то оставалось в тарелке. После еды она краем ладони собирала крошки со стола и отправляла их в рот.
Тета Паня была невысокого роста, худая, с круглым лицом и большими глазами. С тихим, переливчатым смехом и беззвучными слезами. О блокаде она рассказывала всегда. 

Историй было много, она рассказывала их в мельчайших подробностях. Но за всеми рассказами стояло одно – голод. Это была всепоглощающая, экзистенциальная проблема, на фоне которой даже немцы были хоть и абсолютным, но все-таки абстрактным злом. Голод был везде. От бомбежки можно было укрыться, а от него нет. Он был вездесущ. 
На свой "блокадный" день рождения она получила от матери в подарок фарфоровую чашку. Это была потрясающей красоты вещь, расписанная райскими цветами. Но совершенно бессмысленная: уже тогда она была треснута и пить из нее было невозможно. Стоила она 65 граммов хлеба – половину дневного рациона. Но и спустя десятилетия после окончания войны это была самая дорогая вещь в доме – ее никто не имел права до нее дотрагиваться. Когда тетя Паня умерла, мне разрешили взять на память то, что я хочу, и я выбрал эту чашку. Тогда я впервые взял ее в руки – в ней были боль и страх.


Deutsch
Original
Tamina Kutscher, Chefredakteurin:
Ein Foto: Das Kaufhaus meiner Großeltern väterlicherseits in einer Kleinstadt in Mähren. Aus jedem Fenster hängen Flaggen, auf jeder Flagge ein Hakenkreuz. Es ist das Jahr 1939. 
Sechs Jahre später ist mein Großvater in Kriegsgefangenschaft – im ehemaligen KZ Auschwitz. Er schreibt seiner Frau nach Hause, dass nach allem, was die Deutschen verbrochen hätten, keine Versöhnung mehr möglich sei. Sie solle die erste Gelegenheit ergreifen, um Mähren zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Das Kaufhaus überschreiben meine Großeltern einem tschechischen Angestellten. Er wird später enteignet. Aber das weiß zu dem Zeitpunkt noch keiner. 
Meine Großmutter macht sich mit fünf Kindern im Flüchtlingstreck auf Richtung Bayern. Nach einem Tieffliegerangriff auf den Treck findet sie ein Baby neben der toten Mutter im Straßengraben, nimmt es mit und gibt es an einer Rot-Kreuz-Station wieder ab. Mein Onkel fasst mit der Verzweiflung eines 10-Jährigen den Vorsatz, eine Pistole zu besorgen und die ganze Familie zu erschießen. Als Erwachsener erzählt er davon und lacht.
Тамина Кучер, главный редактор:
На фотографии магазин моих деда и бабушки по отцовской линии в каком-то городке в Моравии. В каждом окне флаг, на каждом флаге свастика. 1939 год. Через шесть лет мой дед в плену — в бывшем концлагере Освенцим. Он пишет домой жене, что после всех преступлений, совершенных немцами, никакого прощения быть не может. Она должна при первой же возможности уехать из Моравии в Германию. Магазин этот моя семья переписала на работавшего у них чеха. Позже все имущество национализируют. Но этого пока никто не знает.
Бабушка с пятью детьми в колонне немецких беженцев отправляется в сторону Баварии. После авианалета на их колонну, в канаве, рядом с мертвой женщиной она находит младенца и несет его до следующего поста Красного креста. Мой дядя, с отчаянием десятилетнего мальчика, твердо решает раздобыть пистолет и застрелить всю свою семью. Спустя много лет он вспоминает эту историю со смехом.


Deutsch
Original
Polina Aronson, Redakteurin:
Ich lebe seit zwölf Jahren in Berlin. Oft habe ich die Frage gehört, von Deutschen wie von Russen: „Wie kannst du als Enkelin Überlebender der Blockade, zudem noch als Jüdin, mit Deutschen zusammenleben?” Die Antwort fand ich, wo ich sie am wenigsten vermutet hätte – im Blockade-Tagebuch meines Großvaters mütterlicherseits, Oscher (Iosif) Basin.
Mein Opa beginnt sein Tagebuch mit einem Goethe-Zitat. Nur wer seine Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart. Nicht die Deutschen nennt er den Feind, er benutzt selbst in den schrecklichsten Momenten beharrlich das Wort Faschisten oder Hitleranhänger. Als er aus der Prawda von der Massenvernichtung von Juden erfährt, wo seine Eltern zurückgeblieben waren, schreibt er: „Das sind nicht mal Menschenfresser oder Tiere. Das sind Hitler-Faschisten. Das ist es: Diese Hitler-Faschisten sind eine eigene Spezies.“
Mein Großvater stammte aus einem kleinen jüdischen Stetl und war bis zu Kriegsbeginn ein glühender Anhänger kommunistischer Ideale – er war den Bolschewiken dankbar für seine Ausbildung, für seine Arbeit, für sein Leben. 
Nachdem er den ersten Blockadewinter überlebt hatte, wurde er nach Kujbyschewe evakuiert und ging dann an die Front. Bei Kriegsende war er in Warschau. Beinahe unversehrt kehrte er aus dem Krieg zurück – und war schwer enttäuscht von dem Kommunismus, an den er früher geglaubt hatte. 
Ende der 1940er Jahre schickte die Leningrader Führung meinen Opa für einige Monate nach Leipzig. Von Hass war in ihm keine Spur. Der Frieden hatte begonnen – und das war sein einziger Wunsch. 
Wenn selbst mein Großvater als Überlebender der Blockade und des Kriegs zwischen Deutschen und Nazis unterschieden hat, dann sollte ich das doch wohl erst recht können. Alles andere wäre undankbar – ihm gegenüber und gegenüber dem Land, in dem ich lebe.
Полина Аронсон, Редактор:
Я живу в Берлине уже 12 лет. Сколько раз я слышала этот вопрос: „Как можешь ты, внучка блокадников, к тому же еврейка, спокойно жить с немцами?
Ответ нашелся в самом неожиданном месте - в блокадном дневнике моего деда по материнской линии, Ошера (Иосифа) Басина. 

Дед начинает дневник словами из Гете: „Только тот, кто знает свое прошлое, может понять свое настоящее“. Он не называет врага „немцами“ - он настойчиво пишет „фашисты“ или „гитлеровцы“. Верен себе он остается даже в самые страшные минуты. Узнав из „Правды“ о массовом истреблении евреев в тех местах, где остались его родители, он пишет: „Нет, это даже не людоеды, не звери – их имя гитлеровцы. Это просто гитлеровцы“. Выходец из небольшого еврейского местечка, до начала войны дед свято верил в идеалы коммунизма - он был благодарен большевикам за свое образование, за свою работу, за свою жизнь.

Пережив первую блокадную зиму, Иосиф сначала эвакуировался в Куйбышев, а затем ушел на фронт и встретил окончание войны в Варшаве. Он вернулся с войны почти невредимым - и сильно разочаровавшимся в том коммунизме, в который верил раньше. в конце сороковых - ленинградское руководство отправило его в Лейпциг. Прожив там несколько месяцев, он вернулся в Ленинград, и никакой ненависти в нем не было. Наступил мир - и ничего другого он не мог пожелать. Если бы я, его внучка, позволила себе сегодня „ненавидеть немцев“ - это не было не просто неблагодарностью к стране, где я живу и работаю. Это было бы неблагодарностью к памяти деда – человека, пережившего блокаду и фронт.


Deutsch
Original
Friederike Meltendorf, Übersetzungsredakteurin:
Mein Großvater war schon immer sehr alt. Ihn umflorte irgendein Geheimnis. Ich wusste als Kind nur, dass er elf Jahre in russischer Gefangenschaft war. Und danach noch eine Doktorarbeit oder ähnliches in Philosophie geschrieben hatte. Das war für mich ein dicker Stapel Papier.
Er war im Ersten Weltkrieg als Fliegeroffizier abgestürzt und der erste Mensch, der mit einem Wirbelsäulenbruch geheilt wurde. Dafür hatte er ein halbes Jahr gehangen. Davon hatte ich ein sehr genaues Bild vor Augen: eine Sprossenwand war da im Spiel, das einzige wo ich mir vorstellen konnte, dass man dran hängen kann. 
Danach studierte er Jura und lernte meine Oma kennen, die als eine der ersten Frauen in Freiburg Jura studierte. Jurist und Offizier war er also und kam dann Ende der dreißiger Jahre ans Reichskriegsgericht, eines der höchsten Gerichte im Dritten Reich. Die Familie wohnte in einer Villa in Berlin Nikolassee. Es gab dort wohl eine Hitlerecke, von der es heißt – jedoch herrscht Uneinigkeit – da habe früher einmal Hitler gesessen. 
1941 wurde dieser Opa vom Richterdienst suspendiert, weil er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten und Zeugen Jehovas zum Tode zu verurteilen, oder weil er Urteile hinausgezögert hat, darüber gibt es unterschiedliche Geschichten.
1945 kam er zu Besuch auf das Rittergut, wo seine Frau, meine Lieblingsoma, mit ihren drei Kindern evakuiert war: meine Mutter, die damals sieben war und ihre beiden Brüder. 
Man hatte meinen Opa gewarnt, er solle nicht kommen, die Russen würden alle holen, doch er war der festen aufrechten Überzeugung, nichts Falsches getan zu haben. Sie nahmen ihn mit. Er kam nach Bautzen und elf Jahre später nach Hause, nach Berlin. Meine Mutter war unterdessen 19 Jahre alt.
Фридерике Мелтендорф, Редактор перевода:
Сколько себя помню, мой дедушка всегда был очень старым. Еще ребенком я была в курсе, что он провел одиннадцать лет в плену у русских. А потом написал диссертацию по философии или что-то в этом роде. Для меня это была просто большая стопка бумаг.
Во время Первой мировой он служил в авиации, и когда его самолет разбился, он стал первым пациентом, выздоровевшим после перелома позвоночника. И чтобы разгрузить позвоночник его полгода как-то подвешивали. Я очень ясно себе это представляла: наверняка, там была какая-то шведская стенка, — ну а на чем еще может висеть человек?
Потом он поступил на юридический и познакомился с моей бабушкой, одной из первых девушек, учившихся на юрфаке во Фрайбурге. Был он, значит, юрист и офицер, и вот в конце тридцатых поступил на службу в Имперский военный суд, один из высших судов Третьего рейха. Его семья жила на вилле возле озера Николазее в Берлине. В этом доме, еще до них, говорят, бывал Гитлер – впрочем тут мнения в семье расходились.
В 1941 году дедушку отстранили от судейской должности, так как он отказался вступать в НСДАП и не стал приговаривать к смертной казни Свидетелей Иеговы, или, по крайней мере, затягивал вынесение приговоров, на этот счет тоже были разные истории. 
В 1945 году он приезжал в загородное поместье, где в эвакуации жила его жена, моя любимая бабушка, с тремя детьми: моей мамой и ее братьями. Дедушку предупреждали, что ехать не следует, что русские всех заберут, но он был абсолютно искренне убежден, что не делает ничего плохого. Его забрали. Он попал в Баутцен, а через 11 лет вернулся домой, в Берлин. Моей маме тогда исполнилось 19 лет.


Deutsch
Original
Alena Schwarz, Controlling:
Meine Oma war erst vier, als der Krieg begann. Ihre Erinnerungen daran setzen sich aus einzelnen Episoden zusammen. Wie sie 1943 ihre Puppe verpfändet hat, um ihrem Bruder ein Weihnachtsgeschenk kaufen zu können, oder wie sie jeden Mittag im Keller den Schimmel von der Graupensuppe abgeschöpft hat. 
Im März 1945 entschloss sich meine Uroma, mit ihren vier Kindern aus Koszalin (dt. Köslin) in Westpommern zu fliehen. An diese Flucht in letzter Sekunde erinnert sich meine Oma sehr genau: im Rucksack nur Bettwäsche, Kleidung, für den jüngsten Bruder ein Teddy. Schnee und Eis, Dunkelheit, offene Güterzüge, im Bauch eines Schiffes, Beschuss durch Tiefflieger. 
Meine Urgroßmutter brachte alle Kinder unversehrt quer durch Polen und Deutschland bis nach Cuxhaven. Die Familie, auf deren Hof sie untergebracht wurden, war sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Den Neffen des Landwirts hat meine Oma acht Jahre später geheiratet. 
Алена Шварц, Администрация:
Когда началась война, бабушке было всего четыре. У нее остались отрывочные воспоминания об этом времени. Например, как в 1943 году ей пришлось продать куклу, чтобы купить подарок брату на Рождество, или как в обед она каждый раз снимала плесень с перловки в подвале.
В марте 1945 года моя прабабушка решила забрать своих четырех детей и бежать из Кезлина в Западной Померании. Это бегство в последнюю минуту бабушка помнит очень хорошо: в рюкзаке только постельное белье, одежда, плюшевый мишка младшего брата. Снег и лед, темень, товарные поезда, трюм какого-то корабля, обстрелы штурмовиков.
Прабабушка довезла всех детей живыми и здоровыми через всю Польшу и Германию до Куксхафена. Семья фермеров, к которым они попали, была очень дружелюбна и добра к ним. Восемь лет спустя за племянника хозяина фермы бабушка вышла замуж.


Deutsch
Original
Dmitry Kartsev, Redakteur:
Mein Opa Wadja war nicht sehr gesprächig, besonders zum Ende hin. Den Großteil der Geschichten von der Front weiß ich nicht von ihm, sondern von den anderen Verwandten. Dass er und seine zwei älteren Brüder, Opa Jura und Opa Ljowa in den Krieg gingen – und wie durch ein Wunder alle drei zurückkamen. Dass er zur Pioniertruppe kam, weil er ein bisschen Deutsch konnte (falls Gefangene verhört werden mussten), und er dort mit seinen 17 Jahren als Jüngster und Liebling der Familie mit Verbrechern und Straftätern zusammen diente, da man hinter der Frontlinie Leute brauchte, die selbstständig Entscheidungen treffen konnten. Dass er einmal seiner zukünftigen Frau, meiner Oma Lisa, einen kurzen Brief schrieb: „Warum zum Teufel schreiben Sie nicht?“ (aus irgendeinem Grund weiß ich, dass das sein einziger Brief war). Dass zwischen meinem Opa und meiner Oma nicht alles einfach war (aus dem Inhalt des Briefes kann man da durchaus darauf kommen). 
Mit eigenen Augen habe ich nur Ansichtskarten noch nicht zerstörter deutscher Städte gesehen, die er meiner Oma nach dem Sieg schickte. Sie kannten sich seit dem Kindergarten, doch er siezte sie und die Texte auf den Postkarten waren romantisch und schwülstig.
Mein Großvater erzählte wenig vom Krieg, der nie den Schwerpunkt unseres Familiengedächtnisses bildete. Dafür bin ich ihm wohl genauso dankbar wie für seine Heldentat. 
Дмитрий Карцев, Редактор:
Мой дедушка Вадя был не из разговорчивых, особенно под конец. Кажется, большую часть фронтовой истории я знаю не от него, а от других наших родственников. О том, что на войну ушел он и двое его старших братьев, деда Юра и деда Лева, — и настоящее чудо, что все трое вернулись. О том, что его взяли в саперную разведку, так как он немного знал немецкий (на тот случай, если нужно будет допрашивать пленных), — и, он 17-летний младший ребенок в семье и всеобщий любимец, служил там вместе с бандитами и уголовниками, которых брали, потому что за линией фронта нужны люди, которые умеют самостоятельно принимать решения. О том, что однажды он написал своей будущей жене, моей бабушке Лизе, короткое письмо: «Какого черта не пишете?» (почему-то мне запомнилось, что это было его единственное письмо). О том, что между бабушкой и дедушкой не все было просто (по содержанию письма, впрочем, можно было догадаться).
Своими глазами я видел только открытки с видами еще не разрушенных немецких городов, которые он посылал бабушке уже после победы. Они были знакомы с детского сада, но он обращался к ней на «Вы», и тексты открыток были одновременно романтичными и вычурными.
Я знаю, что дед был ранен под Вязьмой (и где-то дважды еще), его наградили, и наградной лист можно найти в интернете. Он мало рассказывал о войне, и она не стала главным содержанием нашего коллективного семейного опыта. И за это я, пожалуй, благодарен ему так же, как и за его подвиг.

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Großer Vaterländischer Krieg

Als Großen Vaterländischen Krieg bezeichnet man in Russland den Kampf der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland 1941–1945. Der Begriff ist an den Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahr 1812 angelehnt. Galt der Sieg über den Faschismus offiziell zunächst als ein sozialistischer Triumph unter vielen, wurde er seit Mitte der 1960er Jahre zu einem zentralen Bezugspunkt der russischen Geschichte.

„Der Große Vaterländische Krieg 1941–1945 war der gerechte Befreiungskrieg des sowjetischen Volkes für die Freiheit und Unabhängigkeit der sozialistischen Heimat gegen das faschistische Deutschland und seine Verbündeten, der wichtigste und entscheidende Teil des Zweiten Weltkriegs 1939–1945.“ So definierte im Jahr 1985 eine einschlägige Moskauer Enzyklopädie.1 Diese in der Sowjetunion und einigen Nachfolgestaaten übliche Bezeichnung entspricht chronologisch und geographisch in etwa den deutschen Begriffen Krieg an der Ostfront oder Russlandfeldzug. Selbst für sich allein genommen war dieser Abschnitt des Zweiten Weltkriegs einer der blutigsten Kriege der Weltgeschichte.

Ein Sieg unter vielen

Der Begriff ist an die Bezeichung für Napoleons gescheiterten Russlandfeldzug von 1812 angelehnt, der in Russland als Vaterländischer Krieg bekannt ist. Gemeint ist ein Verteidigungskrieg auf eigenem Boden, auch wenn dieser in eine Gegenoffensive außerhalb der Staatsgrenzen übergeht. Bereits der Erste Weltkrieg wurde manchmal als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet.

Nachdem die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, wurden die Parallelen zum Ersten Weltkrieg, vor allem aber zu 1812, schnell aufgegriffen. Bereits am nächsten Tag druckte die „Prawda“ einen Artikel des Parteiideologen Jemeljan Jaroslawskij mit dem Titel „Der Große Vaterländische Krieg“. Auch Stalin griff die Bezeichnung in seiner ersten öffentlichen Kriegsansprache am 3. Juli 1941 auf.

Obwohl der internationale Charakter aller drei Kriege stets betont wurde, markierte der Begriff des Vaterländischen Krieges eine Wende von einer sozialistischen Interpretation hin zu einer Besinnung auf die Geschichte Russlands vor der Oktoberrevolution. Militärische Ruhmestaten aus dem Mittelalter und der Zarenzeit wurden in der Propaganda ebenso betont wie die führende Rolle des russischen Volkes. Dennoch dauerte es Monate, bis der Ausdruck Vaterländischer Krieg zum Standardbegriff wurde – und erst gegen Ende des Kriegs war das zusätzliche Attribut Großer nicht mehr wegzudenken.

Die Chronologie des Kriegs und seine Bedeutung im Verhältnis zu anderen militärischen und politischen Ereignissen waren auch nach 1945 nicht sofort in Stein gemeißelt. Der 3. September 1945 als Tag des Sieges über Japan stand noch 1947 im staatlichen Festkalender und in Denkmalsentwürfen aus der Bevölkerung gleichberechtigt neben dem 9. Mai.2 Als vaterländische Kriege konnten der Bürgerkrieg von 1917–1921, die sowjetisch-japanische Schlacht am Chasansee von 1938 und sogar der sowjetisch-finnische Krieg von 1939/40 gelten.3

Bis zur Mitte der 1960er Jahre galt der Sieg von 1945 als eine Errungenschaft des Sozialismus unter vielen. Seine Bedeutung für das historische und politische Selbstverständnis des Landes stieg jedoch kontinuierlich, nicht zuletzt auf Druck aus der Armee, den neuen Veteranenverbänden und von Verantwortlichen aus den Westgebieten der UdSSR, wo die zentrale Rolle des Kriegs bereits etabliert war.

Siegeskult und Geschichtsklitterung

Nach dem Sturz Chruschtschows im Jahr 1964 bemühte sich die neue Staatsspitze, den bereits bestehenden Kult des Großen Vaterländischen Kriegs (GVK, russ. WОW, Welikaja Otetschestwennaja Woina) zu vereinheitlichen und im ganzen Land zu etablieren. Die rückwärtsgewandte Sicht auf den Krieg als das – neben der Oktoberrevolution – wichtigste Ereignis in Russlands Geschichte überschattete zunehmend die zukunftsorientierten Versprechungen des Sozialismus. Die 1418 Tage vom 22. Juni 1941 bis zum 9. Mai 1945 wurden zum endgültigen chronologischen Rahmen; die geheimen Teile der deutsch-sowjetischen Abkommen von 1939 und die Besetzung von Teilen Osteuropas durch die Sowjetunion 1939/40 blieben aus der offiziellen Geschichtsschreibung ausgespart.

Fundament des historischen Selbstverständnisses

Nach einer Phase kontroverser Diskussionen um Interpretationen und Chronologie des Krieges während der Perestroika stieg die Bedeutung des Kults um den GVK seit Mitte der 1990er Jahre wieder kontinuierlich. Durch den Zusammenbruch des marxistisch-leninistischen Geschichtsbilds blieb der Stolz auf den Sieg von 1945 als einziger historischer Affekt übrig, der nationalen Zusammenhalt versprach. Mit Unterstützung aus der Staatsführung, oft jedoch auf Initiative der Enkelgeneration, wurde er in den 2000ern endgültig zum Fundament des historischen Selbstverständnisses in Russland und Belarus.

In den ehemaligen Sowjetrepubliken und dem ferneren Ausland sind es vor allem russischsprachige Einwohner, für deren Geschichts- und Selbstverständnis der GVK ein wichtiger Bezugspunkt ist. Inzwischen werden mehr kulturelle Artefakte (Filme, Bücher, Denkmäler usw.) zu 1941–1945 produziert als zu spätsowjetischen Zeiten. In Russland ist der Tag des Sieges am 9. Mai der mit Abstand wichtigste Nationalfeiertag.

Ereignisse der jüngsten Geschichte werden zunehmend als Neuauflage des GVK gesehen, so – durch beide Seiten – der seit 2014 andauernde Ukrainekrieg. Gerade in der Ukraine hat der Konflikt jedoch auch zu Neuinterpretationen geführt. Neben dem weiterhin bestehenden Kult um den Großen Vaterländischen Krieg werden die Ereignisse ab 1941 dort, wie schon zuvor im Baltikum, zunehmend als Teil des Zweiten Weltkriegs von 1939–1945 gesehen und das eigene Land als Opfer zweier Diktaturen dargestellt.


1.Sovenciklopedija (1985): Velikaja Otečestvennaja vojna, 1941-1945, Moskau, S. 7
2.zu einem solchen Projekt siehe: Pamjatnik Pobedy: Dokumenty po istorii sooruženija memorial’nogo kompleksa na Poklonnoj gore v Moskve (1943-1991gg.), Golden-Bi Verlag, Moskau, S. 41-49
3.Pamjatnik Pobedy: Dokumenty po istorii sooruženija memorial’nogo kompleksa na Poklonnoj gore v Moskve (1943-1991gg.), Golden-Bi Verlag, Moskau, S. 27-32
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Tag des Sieges

Der Tag des Sieges wird in den meisten Nachfolgestaaten der UdSSR sowie in Israel am 9. Mai gefeiert. Er erinnert an den Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland und ist in Russland inzwischen der wichtigste Nationalfeiertag. Der 9. Mai ist nicht nur staatlicher Gedenktag, sondern wird traditionell auch als Volks- und Familienfest begangen.

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Park des Sieges

Der Park des Sieges ist eine Gedenkstätte im Westen Moskaus. Auf dem weiträumigen Gelände befinden sich zahlreiche Statuen und Denkmäler, ein Museum sowie weitere Sehenswürdigkeiten, die an den Großen Vaterländischen Krieg erinnern. Die Parkalage hat sich nicht nur zu einem zentralen Gedächtnisort für die Feierlichkeiten am 9. Mai entwickelt, sondern ist auch als Touristenattraktion und Erholungspark bei den Moskauern sehr beliebt.

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Poklonnaja-Hügel

Der Poklonnaja-Hügel ist eine der höchsten natürlichen Erhebungen in Moskau. Der Ort besitzt seit dem Mittelalter eine wichtige historische Bedeutung. Heute befindet sich hier mit dem Park des Sieges ein zentraler Gedenkort für die Opfer des Großen Vaterländischen Krieges.

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Genrich Jagoda

Der Name Genrich Jagoda ist untrennbar mit den stalinistischen Repressionen, dem Aufbau des Straflagersystems Gulag, der Organisation der ersten sowjetischen Schauprozesse und dem sowjetischen Innenministerium NKWD verbunden, das er von 1934 bis 1936 leitete.

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Krim

Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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