Mit Donald Trump als designiertem neuen US-Präsidenten betritt im Januar ein Mann die internationale Bühne, der schon vor der ersten Amtshandlung das Credo „Make America Great Again“ ausgab. Wie er die USA in den alltäglichen Regierungsgeschäften führen wird, ist bisher allerdings unklar. Ebenso, welche Rolle das Land innerhalb der Nato und im Verhältnis zu Europa einnehmen wird – und damit in Syrien-Krieg und Ukraine-Konflikt.
Von Russland aus betrachtet sehe diese neue Situation schon klarer aus, glaubt Andrej Kolesnikow, politischer Analyst beim Carnegie-Zentrum MoskauDas Carnegie Moscow Center ist Teil eines weltweiten Netzwerks von Denkfabriken, die zur Carnegie-Stiftung mit Sitz in Washington gehören. Die Zweigstelle in Moskau nahm 1994 ihre Arbeit auf. Nach eigener Aussage soll das Zentrum zur überparteilichen Diskussion wichtiger politischer und wirtschaftlicher Themen anregen und die Kooperation zwischen Russland und den USA fördern. Der Fokus liegt dabei auf internationaler Politik. Direktor ist der Wissenschaftler und ehemalige Sowjet-Militär Dimitri Trenin.. Zumindest ein bisschen. Denn neuerdings befinde sich Russland gewissermaßen unter Gleichgesinnten, schreibt er in dem oppositionellen Wochenblatt The New Times. Aber was hieße das für ein Land, das sich bisher eher als geächteter Außenseiter positionierte? Und was wird dann aus alten Feindbildern? Skizze eines komplizierten Ausblicks.

Brexit, Sieg von Donald Trump, Erfolg des Putin-Freunds Francois Fillon bei den Vorwahlen (und höchstwahrscheinlich auch bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2017) – nach all diesen Ereignissen fühlen sich Putin und seine Eliten beinahe wie Trendsetter der neuesten Innen- und Außenpolitik: „Wir haben’s euch ja gesagt! Und ihr wolltet nicht auf uns hören! Also, bitte sehr, da habt ihrs!“
Festung plötzlich ohne Feinde
Einerseits hat sich das äußere Umfeld für Russland tatsächlich verändert. Andererseits lassen all diese Veränderungen völlig unerwartet eine grundlegende, ungeschriebene Doktrin erodieren. Eine, auf der die Post-Krim-Konsolidierung(Post-)Krim-Konsens bzw. Putin-Konsens ist eine gängige Bezeichnung für eine Art kollektive Identität Russlands seit der Angliederung der Krim: Da durchschnittlich 90 Prozent der Bürger verschiedenen Umfragen zufolge die Angliederung befürworten, gehen viele Wissenschaftler und Beobachter davon aus, dass diese Mehrheit auch den gesamten politischen Kurs des Landes gutheißt. der Putinschen Eliten beruht: die Doktrin der belagerten Festung. Der Westen übt Druck auf Russland aus, führt einen Informationskrieg, die NATO nähert sich Russlands Grenzen, und wir verteidigen uns, sichern die belagerte Festung, erweitern ihre Grenzen, führen gerechte Kriege, ergreifen innerhalb der Festung Nationalverräter und rücken um den Kommandanten dieser Festung eng zusammen, sprich um den Anführer der Nation.
Ein solches Modell, das noch zusätzlich mit geistigen KlammernDer Ausdruck duchownyje skrepy (dt. ungefähr: verbindende Werte oder spirituelle bzw. geistige Klammern) wurde von Putin am 12. Dezember 2012 an prominenter Stelle in einer Parlamentsrede in Zusammenhang mit Begriffen wie Barmherzigkeit, Mitleid, Hilfsbereitschaft verwendet, die seiner Aussage nach den Zusammenhalt der Nation gewährleisten. Schon zuvor fand der Ausdruck Eingang in den Sprachgebrauch vor allem konservativer russischer Politiker, er bleibt jedoch inhaltlich oft sehr unklar. Ironisch gebraucht ist der Begriff zum populären Internet-Mem geworden, das die Integrität von Putins Aussage in Frage stellt und auf das Wertevakuum in Gesellschaft und Politik anspielt. und Mythen wie den 28 Panfilow-Helden28 Panfilow-Helden ist ein sowjetisches Propaganda-Motiv aus dem Zweiten Weltkrieg. Ende November 2016 wurde die Premiere des gleichnamigen Films gefeiert, der durch Crowdfunding und Förderung des Kulturministeriums finanziert wurde. Zwischen dem Kulturminister Wladimir Medinski und dem Leiter des Staatsarchivs Sergej Mironenko kam es im Vorfeld zu einem öffentlichkeitswirksamen Konflikt: Mironenko kritisierte, die Geschichte sei ein Mythos. Der Minister entgegnete harsch, er würde verstehen, wenn Mironenko den Job wechsle. umrankt ist, hat nicht nur für die Konsolidierung der Eliten, sondern auch für die Bereitschaft von 70 Prozent der Bevölkerung gesorgt, eine selbstzerfleischende Politik von GegensanktionenAls Reaktion auf die westlichen Sanktionen, die nach der Angliederung der Krim gegen Russland verhängt wurden, reagierte Russland mit Gegensanktionen. Das russische Handelsembargo beinhaltet vor allem Einfuhrverbote für Lebensmittel. Während westliche Hersteller Exportverluste erlitten, verteuerten sich in Russland, nicht zuletzt durch die umstrittene Vernichtung von Lebensmitteln, die Preise für zahlreiche Nahrungsmittel. Read more in our Gnose zu unterstützen (laut Angaben des Lewada-ZentrumsDas Lewada-Zentrum ist ein gemeinnütziges Meinungsforschungsinstitut. Der Namensgeber Juri Lewada (1930–2006) gilt als ein Urvater der modernen russischen Soziologie. 2003 legte er den Grundstein für das renommierte Institut, nachdem die gesamte Belegschaft den Vorgänger WZIOM wegen staatlicher Einmischung verlassen hatte. Das Zentrum wird seit seiner Gründung von den Behörden kritisiert, im September 2016 wurde es vom Justizministerium als ausländischer Agent registriert. Read more in our Gnose eine der stabilsten Zahlen in soziologischen Erhebungen).
Doch wenn wir unterdessen selbst die Trends in der Weltpolitik setzen – vor wem soll man sich dann noch schützen? Die belagerte Festung wird von Moos bewachsen und der Festungsgraben wird zum Sumpf mit Seerosen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bemühte sich Putin, in einer Reihe mit George Bush junior und Tony Blair zu stehen und nach ihren Regeln zu spielen. Aber weltpolitischer Anführer nach westlicher Art zu werden, klappte nicht. Mittlerweile ist er weltpolitischer Anführer auf seine Art. Und diese Art hat der Westen gekauft. Dort, im Westen, verkauft Putin erfolgreich Ängste – und im Inland Drohungen. Jetzt ist ausgerechnet er der HügelkönigDer Begriff „Hügelkönig“ verweist auf ein Kinderspiel, bei dem einer der Mitspieler auf einem Hügel oder einer Erhöhung steht und seine Gegner versuchen, diesen „König“ von dort zu vertreiben, um seinen Platz einzunehmen. Meist geschieht dies durch Schubsen, es gibt aber auch rauere Varianten des Spiels..
Das für alle hässliche (aber für uns hübsche) Entlein Donald (Trump) passt perfekt zu den Bestrebungen von Russlands oberstem Politiker: #DonaldTrumpNaschZu übersetzen ist der Hashtag mit Donald Trump gehört uns oder Donald Trump ist unser (entsprechend folgt Fillon gehört uns). Das steht an dieser Stelle analog zum Ausdruck krimnasch – ein Begriffspaar, das in der russischen Gesellschaft auf die Krimannexion verweist., #FillonNasch, alle rechten (na, und die linken) Populisten gehören uns. Putin ist weltpolitischer Anführer. Was will man mehr? Mit wem soll man noch kämpfen?
Trump kann Erwartungen auch verfehlen
Nun ja, erstens hat sich die Post-Krim-Mehrheit nicht nur durch äußere Kriege konsolidiert. Innere Kriege mit der Fünften KolonneDer Ausdruck Fünfte Kolonne wird allgemein für Kräfte verwendet, die – meist im Geheimen – von innen auf den Umsturz einer bestehenden politischen Ordnung hinarbeiten. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) wurde der Begriff für Anhänger der Aufständischen gebraucht, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten verblieben waren. Im russischen Kontext wird er von Regierungsseite oft für diejenigen verwendet, die die Regierungslinie nicht unterstützen, insbesondere seit dem Auftauchen des Begriffs in der Rede Putins zum Beitritt der Krim am 18. März 2014.Der Ausdruck Fünfte Kolonne wird allgemein für Kräfte verwendet, die – meist im Geheimen – von innen auf den Umsturz einer bestehenden politischen Ordnung hinarbeiten. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) wurde der Begriff für Anhänger der Aufständischen gebraucht, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten verblieben waren. Im russischen Kontext wird er von Regierungsseite oft für diejenigen verwendet, die die Regierungslinie nicht unterstützen, insbesondere seit dem Auftauchen des Begriffs in der Rede Putins zum Beitritt der Krim am 18. März 2014., mit der Opposition, mit korrupten LiberalenAnspielung auf Alexej Uljukajew (geb. 1956) – von 2013 bis 2016 russischer Wirtschaftsminister. Am 14. November 2016 wurde Uljukajew überraschend verhaftet, er wird beschuldigt, im Zuge der Übernahme des Ölkonzerns Baschneft durch Rosneft zwei Millionen US-Dollar Schmiergeld angenommen zu haben. Uljukajew wird oft dem liberalen Flügel des Regierungssystems zugerechnet. (und Generälen ebenso – der SilowikiSilowiki ist ein Sammelbegriff für Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. Seit den späten 1990er Jahren hat ihr Einfluss stetig zugenommen. Unter Putin gehören sie zu den einflussreichsten Akteuren innerhalb der russischen Elite. Read more in our Gnose -Teil des Systems reinigt sich selbst) können genauso effektiv das eigene Ansehen heben. Zumindest bis zur Wahl 2018.
Zweitens ist noch nicht völlig ersichtlich, ob sich die breit verkündete Trumpisierung der demokratischen Welt als stabiler Trend erweist, der das Putinsche Russland vom Geächteten zum Trendsetter macht.
Sollte Trump dann mit einem Mal doch nicht die Erwartungen der russischen Führung erfüllen und Europa in seiner politischen Ausrichtung und in der Frage der SanktionenAls Reaktion auf die Annnexion der Krim und Russlands militärisches Eingreifen in der Ostukraine beschlossen sowohl die USA als auch die EU im Jahr 2014 wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Diese umfassen zunächst nur Einreiseverbote für unmittelbar in den Konflikt involvierte russische Politiker und Wirtschaftsführer sowie das Einfrieren von Vermögenswerten. Wegen russischer Unterstützung für die in der Ostukraine kämpfenden Milizen erließ die EU Ende Juli und im September 2014 ein separates Sanktionenpaket. Es besteht aus dem Finanzierungsstopp russischer Staatsbanken, Öl- und Rüstungskonzerne, sowie aus verschiedenen Handelsbeschränkungen. Im Juli 2017 beschlossen die USA zudem, Russland für die Angliederung der Krim, die mutmaßliche Einmischung in den US- Präsidentschaftswahlkampf und für die Unterstützung Baschar al-Assads im syrischen Bürgerkrieg zu bestrafen. Die neuen beziehungsweise modifizierten Sanktionen können bei voller Umsetzung nachhaltig Russlands Rohstoffgeschäft schädigen (das einen großen Teil des Staatshaushalts ausmacht). Read more in our Gnose solidarisch bleiben, sollte die Haltung der NATO für die westliche Welt weiterhin Konsens bleiben, dann wird die Frustration im Putinschen Russland äußerst heftig ausfallen. Es gibt nichts Schlimmeres als zu hohe Erwartungen. Trumps Amerika gegen Putins Russland – das wäre eine abenteuerliche Unternehmung mit offenem Ergebnis.
Wenn wir nun über wirklich langfristige Trends sprechen, darf man außerdem nicht vergessen, dass alle Schlüsselländer der westlichen Welt Demokratien sind. Der Rechtspopulismus muss nicht von Dauer sein. Immerhin gehen Wahlen im Westen bisher noch nicht nach russischem Schema vor sich: Das Pendel des Wählervotums kann komplett in die andere Richtung ausschlagen. Wer weiß schon, wie lange sich dieser neue Politikertyp erfolgreich und stabil an der Macht hält.
Muss Putin sich neu erfinden?
Begehen wir nicht einen Fehler, wenn wir die aktuelle Tendenz der Trumpisierung auf die Zukunft hochrechnen? Selbst wenn man außer Acht lässt, dass die Faktoren, die diese Tendenz bedingt haben (das Verlangen nach Politikern neuen Typs, Migrationsströme, Terrorbedrohung), keineswegs verschwunden sind. Es ist ohne Zweifel ein Test für die Demokratie westlichen Typs, wobei ihre institutionellen Grundlagen stark genug sind, daher ist anzunehmen: Sie wird diese Regierenden al là Trump mittel- und langfristig verdauen.
Kurzum, die Konturen der Außenwelt, in der sich die Putinsche Regierung fortan bewegt, beginnen gerade erst, sich abzuzeichnen. Bisher gibt es keine Klarheit darüber, worauf die Akzente des bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampfes für 2018 gesetzt werden und wie es mit der Suche nach neuen und alten Feinden aussieht, mit denen gekämpft werden muss, damit sich die Massen stabil um ihren Anführer scharen. Klar ist nur, dass Putin den Eliten mögliche Antworten auf die neuen außenpolitischen Herausforderungen aufzeigen muss, um sie davon zu überzeugen, dass er die Situation unter Kontrolle hat. Sonst könnte man ihn aus innen- wie außenpolitischen Gründen nach 2018 als „lahme Ente“ wahrnehmen. Und dann jemanden suchen, der eine klare und deutliche Antwort auf die neuen Herausforderungen formulieren kann.