Medien

Historische Presseschau: Oktober 1917

Am frühen Morgen des 25. Oktober (7. November) 1917 erklärten die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin die Regierung in Petrograd für abgesetzt und noch am selben Tag besetzten sie die wichtigsten infrastrukturellen Punkte der Stadt: den zentral gelegenen Nikolajewski Bahnhof, die Telefonzentrale, das zentrale Elektrizitätswerk und die Staatsbank. Die Regierungsmitglieder – im Amt war eine parlamentarische Übergangsregierung unter Führung von Alexander Kerenski - wurden in der folgenden Nacht im Winterpalast festgenommen. Kerenski selbst konnte fliehen. 

Die Geschehnisse dieser zwei Tage, der Umsturz und die Machtübernahme der Bolschewiki, sind unter dem Namen Oktoberrevolution in die Geschichte eingegangen. Ereignisse, die unter Historikern bis heute Kontroversen produzieren. Russland erlebte damit bereits die zweite massive Umwälzung politischer Verhältnisse innerhalb kürzester Zeit, denn erst im Februar 1917 war die herrschende Zarenfamilie zu Fall gebracht und das Land seitdem provisorisch von der parlamentarischen Übergangsregierung geführt worden.

Nach Machtergreifung der Bolschewiki nun war einer der ersten Schritte die Einführung einer Zensur. Der Beschluss fiel bereits am 27. Oktober: In einem Dekret über die Presse erklärte das bolschewistische Revolutionskomitee, es sähe sich gezwungen, „eine ganze Reihe an Maßnahmen gegen konterrevolutionäre Presse aus verschiedenen Richtungen“ zu unternehmen. Einige Medien, wie etwa die liberalen Zeitungen Retsch und Birshewyje wedomosti, wurden unmittelbar nach der Machtübernahme geschlossen. Viele Zeitungen verschwanden oder passten sich in ihrer politischen Ausrichtung im Laufe des Jahres an.

Die Zeitungen, die noch im Dazwischen des Machtwechsels – am 26. Oktober – erscheinen konnten, bieten eine Möglichkeit, hinter die Kulissen dieses historischen Datums zu schauen. Dazu haben wir aus dem Zeitungsarchiv der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg eine Historische Presseschau zusammengestellt.

Quelle dekoder

Rabotschi put (Prawda): Der Kampf hat erst begonnen

Die Tageszeitung Rabotschi put (Prawda) berichtete direkt am 26. Oktober (8. November), dass die Provisorische Regierung gestürzt worden sei und wies zugleich auf die unsichere Stellung der neuen Machthaber hin. Das Blatt war das Parteiorgan der Bolschewiki und forderte, an diesem Punkt dürfe nicht nachgelassen, der Kampf gegen die Bourgeoisie müsse fortgesetzt werden.

Deutsch
Original
Die Kerenski-Regierung ist gestürzt. In Petrograd hat die Revolution gesiegt. Bedeutet das etwa, dass die Revolution schon endgültig gewonnen ist, dass der Sieg feststeht?

Nein, es wäre ein Verbrechen, sich jetzt auf den Lorbeeren auszuruhen und zu glauben, die Kräfte der Revolutionsfeinde seien schon zerstört.

Auf keinen Fall sollte einer Konterrevolution einfach so das Feld überlassen werden. Für die Gutsbesitzer und Kapitalisten steht nun wirklich alles auf dem Spiel. Die Bourgeoisie, sie ist ein beharrlicher, hartnäckiger und findiger Feind. Kaum den Rückzug angetreten, bereitet sie sich schon auf einen neuen Angriff vor.

Die Kerenski-Regierung hat die Flucht ergriffen. Wir zweifeln jedoch nicht daran, dass sie einen Einmarsch in Petrograd vorbereitet. Wir sind davon überzeugt, dass die gestürzten konterrevolutionären Interimsherren nicht einen Gedanken daran verschwenden werden, gegen die Deutschen Front zu machen, nur um über das eigene Volk einen blutigen Sieg zu erringen.

Der Kampf hat erst begonnen – der Kampf geht weiter.

Правительство Керенского низложено. Революция победила в Петрограде. Означает ли это, что революция уже победила окончательно, что победа ее закреплена?

Нет, преступлением было бы успокоиться теперь “на лаврах” и считать силу врагов революции уже уничтоженной.

Контр-революция так легко ни в коем случае не уступит поля битвы. Для помещиков и капиталистов все, ведь, поставлено на карту. Буржуазия - враг настойчивый, упорный и ловкий. Отступая, она немедленно готовит новое наступление.

Правительство Керенского бежало. Но мы ни минуты не сомневаемся в том, что оно готовит поход на Петроград. Мы не сомневаемся в том, что низложенные контр-революционные времещники не задумаются ни на минуту открыть фронт немцам, лишь бы одержать кровавую победу над собственным народом.

Борьба началась - борьба не кончена.

erschienen am 26.10. (08.11.) 1917, Nr. 46

Nowaja shisn: Die Machthaber müssen auch Opfer verlangen

Wassili Desnizki (er schrieb unter dem Pseudonym W. Strojew) sympathisierte in seinem Artikel in der Nowaja shisn offen mit den Bolschewiki. Die erst im April 1917 gegründete Tageszeitung, die sich zu den Reihen der Sozialdemokraten gezählt hatte, befürwortete die Umwälzungen im Land. Desnizki, Publizist und selbst Revolutionär, forderte in seinem Text, die Bolschewiki müssten – auch wenn das viele Opfer verlange – alles tun, damit das politische Programm und eine neue Regierung auch von anderen akzeptiert werde.

Deutsch
Original
Also, zumindest für Petrograd ist die Sache entschieden: Die Übergangsregierung, die durch die Koalition der Demokraten mit den Vertretern der besitzenden Klassen zustande kam, besteht allem Anschein nach nicht mehr! Der Kongress hat nun die Aufgabe, die Regierung auf der Grundlage des von den Aufständischen verkündeten Programms zu organisieren.

Dieses Programm, das die Ziele der neuen Regierung in ganz allgemeiner Weise formuliert, ist für die revolutionäre Demokratie sicherlich akzeptabel. Nun kommt es darauf an, ob es angesichts des unausweichlichen Bürgerkriegs von den demokratischen Kräften des gesamten Landes akzeptiert wird – ob das Land und die Armee die Regierung anerkennen, die gebildet wird, um es zu verwirklichen. […]

Frieden, Brot und Freiheit kann man dem Land nicht mit einem Federstrich geben. Diese Ziele lassen sich nur durch die lange, harte Arbeit einer entschlossenen, demokratischen Regierung erreichen. Nachdem sie von Worten zur Tat geschritten ist, darf die Macht den Volksmassen nicht nur verlockende Perspektiven für die nahe Zukunft in Aussicht stellen. Sie wird auch Opfer verlangen müssen. Sie wird zu harten Zwangsmaßnahmen greifen müssen, wenn dies zum Wohl der Revolution erforderlich ist.

Итак, для Петрограда, по крайней мере, вопрос решен: Вр. Правительство, созданное на основе коалиции демократии с представителями имущих классов, по-видимому, более не существует! И перед Съездом стоит задача организации власти на основе программы, провозглашенной восставшими.

Программа эта, формулируя задачи новой власти в самой общей форме, несомненно приемлема для революционной демократии. Вопрос в том, чтобы в условиях неизбежной гражданской борьбы она была принята демократией всей страны чтобы страна и армия признали ту власть, которая будет создана для ее проведения в жизнь. […]

нельзя одним росчерком пера дать стране мир, хлеб и свободу. Эти задачи могут быть выполнены только в процессе длительной упорной работы, осуществляемой решительной демократической властью. Власть, перешедшая от слов к делу, должна будет показать народным массам не только заманчивые перспективы близкого будущего. Она должна будет потребовать и жертв, должна будет прибегать и к суровым мерам принуждения, раз это потребуется во имя блага революции.

erschienen am 26.10. (08.11.) 1917, Nr. 163 (157)

Wolnost: Todeskampf eines freien Russlands

Die Tageszeitung Wolnost, die von dem Schriftsteller und Publizisten Alexander Amfiteatrow herausgegeben wurde, sah in dem Oktoberumsturz das Ende der Februarrevolution und wies auf deutsche Spuren dabei hin – Lenin war vor der Revolution aus dem Exil über Deutschland nach Petrograd gelangt.

Deutsch
Original
Die bolschewistische Verschwörung gegen die Revolution, Freiheit und Verteidigung des Landes war ein glänzender Erfolg. Die aus der Februarrevolution hervorgegangene Regierung gibt es in Russland nicht mehr. Damit ist die Februarrevolution tot, vergewaltigt, frevelhaft geschunden und den Schikanen von Russlands Feinden zum Opfer gefallen.

Die Februarrevolution ist tot. Und die neue Etappe können wir nur als den Todeskampf eines freien Russlands bezeichnen. Ein Wesen im Todeskampf kann sich noch bewegen, kann noch Leben simulieren und das eigene Dasein vortäuschen. Doch über seinem Kopf hat sich bereits der Tod erhoben, aus dessen knochiger, fest zupackender Hand es niemand mehr befreien wird. […]

Wir haben nur noch sehr wenig Grund, zu hoffen, dass dieser Wahnsinn auf Widerstand stoßen wird. Die letzte Hoffnung richtet sich auf Moskau und das restliche Russland. Doch die neue Regierung, die voller Wucht und Druck operiert und beim Einsatz ihrer Mittel nicht wählerisch ist, wird wissen, wie sie das Land zunächst terrorisiert und fest in den Griff kriegt. In den Griff von Händen, auf denen sich noch glühend der Druck des deutschen Handschlags abzeichnet, von der Durchreise ihrer Vertreter durch Deutschland. Und überrascht werden wir nicht sein, wenn Russland angesichts der allgemeinen Raserei genötigt sein sollte, die Machtübernahme neuer Interimskräfte vorerst zu akzeptieren.

Большевистский заговор против революции, свободы и обороны страны удался блестяще. В России больше нет правительства, рожденного февральской революцией. И с этой минуты, февральская революция умерла, изнасилованная, кощунственно замученная, павшая жертвой издевательства врагов России.

Февральская революция умерла. И новый ее этап мы не можем иначе назвать, как агонией свободной России. Агонирующий ещё может делать движения, еще способен имитировать жизнь и обманывать видимостью своего бытия. Но смерть встала уже над головой, и никто не устранит ее костлявой, сжимающей руки. [...]

Очень мало осталось у нас надежд на то, что это безумие встретит отпор. Последняя надежда на Москву и всю остальную Россию. Но, действуя нахрапом и напором, не разбираясь в средствах, новая власть, вероятно, сумеет на первых порах терроризировать страну и крепко держать ее в своих руках, на которых так ярко горят следы пожатий немецких рук при проезде ее представителей через Германию. И мы не удивимся, если, при всеобщем безумии Россия принуждена будет пока признать власть новых временщиков.

erschienen am 26.10. (08.11.) 1917, Nr. 163 (157)

Retsch: Stadium einer Vivisektion

Die liberale Tageszeitung Retsch, die von der Partei der Volksfreiheit (Konstitutionelle Demokraten) herausgegeben wurde, sah in der Machtübernahme der Bolschewiki politischen Wahnsinn am Werk – der fatale Folgen haben würde.

Deutsch
Original
Die Würfel sind also gefallen. Einem von drei Kriegsjahren geplagten und ausgezehrten Land, das die Konvulsionen einer Revolution durchlebt hat, das verelendet ist und den äußersten Grad wirtschaftlicher und industrieller Zerrüttung erreicht hat – einem Land, das keine stabile und dauerhafte Regierung hat und zum Schauplatz von Anarchie und Pogromen geworden ist – diesem armen, zugrunde gehenden Land steht eine neue Etappe auf seinem Leidensweg bevor. Wir befinden uns bereits in einem neuen Stadium eines Vivisektions-Versuchs, was das Land betrifft. […] Es hat eine neue, tiefgreifende Erschütterung gegeben, und deren Folgen für die innere und internationale Situation sind unabsehbar.

Bis zum letzten Augenblick wollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass der Kelch weiterer Prüfungen an unserem Land vorübergehen möge. Auch wenn die Hoffnung noch so gering war, schien uns doch, dass selbst blinder Parteifanatismus seine Grenze dort finden würde, wo der Untergang des ganzen Landes auf dem Spiel steht. […] Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. [...]

Ganz gleich was der morgige Tag uns bringt, welche Formen die Staatsmacht annimmt, in wessen Hände sie fällt, ES IST JETZT SCHON VOLLKOMMEN KLAR, dass diese Machthaber zwangsläufig vor genau denselben Aufgaben stehen werden. […] Sie sind unausweichlich, man kann sie sich nicht mit billigen Phrasendreschereien auf Versammlungen vom Hals schaffen, und man kann sie nicht durch trügerische und unerfüllbare Versprechungen ersetzen. Vor diesen Aufgaben werden auch die Herren Lenin und Trotzki stehen, wenn ihr umstürzlerisches Vorhaben gelingt. Dann wird das Land erneut Konvulsionen erleiden und die bitteren Früchte des politischen Irrsinns und Abenteurertums kosten müssen – und wer weiß, ob es sich von dieser neuen Dosis Gift je wieder erholen wird.

Итак, жребий брошен. Стране, измученной и истерзанной тремя годами войны, пережившей судороги революции, обнищавшей, дошедшей до последней степени экономического и промышленного расстройства, - стране, лишенной твердой и прочной власти, стране, ставшей ареной анархических и погромных движений, - этой несчастной гибнущей стране предстоит новый этап крестного пути. Мы уже вошли в полосу нового опыта вивисекции над нею. [...]

Произошло новое глубокое потрясение, и его последствия для внутреннего и для международного положения страны неисчислимы.

До последнего времени мы не хотели терять надежду на то, что нашу родину минует чаша новых испытаний. Как ни мала была эта надежда, все же нам казалось, что и для ослепленного партийного фанатизма есть пределы, за которыми чувствуется гибель всей страны. [...]

Чтобы не принес нам завтрашний день, какие бы формы ни приняла власть, в какие бы руки она ни перешла, ВСЕ УЖЕ СОВЕРШЕННО ЯСНО, что перед этой властью, неизбежно должны встать одни и те же задачи. [...] Они неотвратимы, от них нельзя отделаться дешевой риторикой митингового пустословия, их нельзя подменить обманными и неисполнимыми обещаниями. Они встанут и перед гг. Лениным и Троцким, если им удастся их мятежный замысел. И тогда стране придется выстрадать новые судороги, вкусить горькие плоды политического безумия и авантюризма, - и кто знает, оправится ли она от этой новой дозы яда.

erschienen am 26.10. (08.11) 1917, Nr. 252 (3994)

Rabotschaja gaseta: Dies ist keine Revolution, das ist ein Militärkomplott

Die Tageszeitung Rabotschaja gaseta, die das Zentralorgan der Partei der Menschewiki war, sprach sich dagegen aus, den Oktoberumsturz als Volksaufstand und Heldentat des Proletariats zu bezeichnen. Sie sah darin allein eine verschwörerische Machtergreifung.

Deutsch
Original
Dies ist keine Revolution, ja, nicht einmal ein Aufstand. Dies ist ein Militärkomplott, wie man es von den Jungtürken oder aus der Geschichte Spaniens und der südamerikanischen Republiken kennt. Dass es sich nicht um einen Volksaufstand, sondern um ein Militärkomplott handelt, zeigt sich daran, dass der Umsturz bislang so leicht vonstatten geht. Aber eben deshalb ist das bolschewistische Abenteuer auch so ephemer und leichtfertig. Das Unterfangen der Bolschewiki ist keine Kommune, kein heroischer Zusammenschluss des Proletariats mit dem Kleinbürgertum gegen die reaktionäre Bourgeoisie und den äußeren Feind, sondern eine rein konspirative Machtergreifung.
Это не революция и даже не восстание. Это – военный заговор, в роде младотурецкого или тех, какие знает история Испании и южно-американских республик. Именно в том, что это не народное восстание, а военный заговор заключается причина той легкости, с какой пока совершается переворот. Но именно в том и заключается весь эфемерный, легкомысленный характер большевистской авантюры. Их попытка – не коммуна, не геройское выступление пролетариата в союзе с мелкой буржуазией против реакционной буржуазии и внешнего врага, а именно чисто заговорщицкий захват власти

erschienen am 26.10. (07.11) 1917

Delo naroda: Ratlosigkeit und Ohnmacht

Die Tageszeitung der Sozialrevolutionäre Delo naroda berichtete über die Selbstisolation der Bolschewiki von anderen revolutionären Kräften und zweifelte daran, dass die neuen Machthaber in der Lage seien, das Land zu regieren und innen- wie außenpolitische Probleme zu lösen.

Deutsch
Original
Der Aufstand der Bolschewiki in Petrograd ist erfolgt. [...] ​Mit diesem Schritt haben sie sich von allen nicht-bolschewistischen Teilen der revolutionären Demokratie isoliert und übernehmen so die ganze schreckliche Verantwortung für all seine Folgen. [...]

Pompös feiern die Bolschewiki ihren Sieg: Endlich, die Feinde der Arbeiterdemokratie sind zu Fall gebracht, die Paladine des Bolschewismus werden an die Macht kommen.

Eine Bank, Bahnstationen und Kraftwerke zu besetzen oder sogar die Provisorische Regierung zu erschießen, bedeutet allerdings noch nicht den Sieg. Das heißt bloß, dass man eine Reihe bekannter materieller Handlungen ausführt, die erst dann einen politischen Sinn erhalten, wenn die am Umsturz Beteiligten ein konkretes Programm und eine Vorstellung von dessen praktischer Umsetzung haben.

Wir wissen nicht, als was für Staatsführer die Bolschewiki sich erweisen werden, wie sie dieses große Land regieren wollen, das äußerlich wie innerlich unter unvorstellbar schrecklichen Bedingungen lebt. Doch ihr erster Probeauftritt, wenn man das so nennen mag, als Herrscher erweckte bei nahezu allen Beobachtern einen bedrückenden Eindruck von Ratlosigkeit und Ohnmacht.

Восстание большевиков в Петрограде состоялось. [...] Своим шагом они изолировали себя от всей не-большевистской части революционной демократии и тем самым взяли на себя всю страшную ответственность за все его последствия. [...]

Большевики громко торжествуют свою победу: наконец-то, враги трудовой демократии ниспровергнуты, и у власти становятся паладины большевизма.

Однако, занять банк, железнодорожные и электрические станции, даже расстрелять Временное Правительство еще не значит победить. Это лишь значит совершить ряд известных материальных действий, которые получают политический смысл лишь тогда, когда у людей, совершающих переворот есть определенная программа и практическое понимание способов ее осуществления.

Не знаем, какими государственными деятелями окажутся большевики, как они примутся управлять великой страной, переживающей невероятные внешние и внутренние условия. Но первое, если можно так выразиться, пробное выступление их в качестве людей власти произвело почти на всех свидетелей этого выступления самое тягостное впечатление растерянности и беспомощности.

erschienen am 26.10. (08.11.) 1917, Nr. 189

Sowremennoje slowo: Sprung in den bodenlosen Abgrund

Die Tageszeitung Sowremennoje slowo, die sich selbst als eine unparteiisch-demokratische Zeitung bezeichnete und der liberalen Partei der Volksfreiheit nahestand, ordnete den Oktoberumsturz in die Reihe der Ereignisse des Jahres 1917 ein. Sie sah darin keine neue, sondern das Ende der Revolution und befürchtete für „das große Russland“ den Untergang.

Deutsch
Original
Die russische Revolution hat ihr Werk vollendet. Sie begann als landesweite Erhebung gegen die zarische Autokratie. Sie war Volksprotest gegen Sklaverei, Niederlage und Schande. […] Aber sehr bald schon wurden diese Ziele durch die Übergriffe einzelner Gruppen und Parteien blockiert. Auf dem Banner der Revolution wurden Parteilosungen zur Schau gestellt, und die vom alten Regime in Unwissenheit aufgezogenen Massen erlagen nur allzu leicht allen möglichen unrealistischen Versprechungen im Geiste der Internationale und des extremen Sozialismus.

Die Revolution wurde immer mehr zur Parteisache. […] Der entscheidende Sieg, den der Bolschewismus jetzt feiert, trägt alle Züge […] der letzten Phase einer Revolution, hinter der sich ein finsterer Abgrund auftut. […]

Nur Einzelne können darin das Wirken einer neuen Revolution sehen. Nur wer die Augen vor dem verschließt, was der kommende Tag für Russland bereithält, kann ignorieren, welche Folgen dieser Umsturz für den Staat, für das äußere Ansehen des Landes, für seine Wirtschaft und seine Verteidigung haben wird. Dieser Umsturz – er ist keine Etappe auf dem Weg in ein Reich der Freiheit und des Sozialismus, sondern ein Sprung in den bodenlosen und finsteren Abgrund. Er ist kein erneuter Sieg, keine „Weiterentwicklung“ der Revolution, sondern etwas anderes, was das Land zum alten, verfluchten Regime zurückführen kann.

Und in dieser furchtbaren Stunde der russischen Geschichte haben wir nur einen Wunsch: dass der Preis, den Russland für diesen „Sieg“ zahlt, nicht zu hoch sein möge; dass die Prüfungen, die dem Land bevorstehen, möglichst wenige Opfer fordern und Russland, das große Russland, vor dem endgültigen Untergang errettet werden möge.

Русская революция завершила свое движение. Она началась общенациональным подъемом, направленным против царского самодержавия. Она была народным протекстом против рабства, поражения и позора. […] Но очень скоро эти цели оказались парализованными домогательствами отдельных групп и партий. Партийные лозунги были выставлены за знамени революции, и массы, воспитанные старым режимом в невежестве, легко поддались на всякого рода невыполнимые обещания, в духе интернационала и крайнего социализма.

Революция становилась все более партийной. […] Решительная победа, которую ныне празднует большевизм, носит все черты [...] конечного этапа революции за которым открывается темная бездна… […]

Только единицы могут видеть в этом действии новую революцию. Только деятели, которые закрывают глаза на то, что день грядущий готовит России, могут не учесть тех последствий, которые несет этот переворот для государства, для его внешнего престижа, для экономики и для обороны страны. Переворот - не этап в царство свободы и социализма, а прыжок в бездну, неизмеримую и темную. Это - не новая победа революции, не “углубление” ее, а нечто другое, что может возвратить страну к старому проклятому режиму.

И в этот страшный час русской истории мы желаем только одного, - чтобы эта “победа” не обошлась слишком дорого России, чтобы испытания, ей уготованные, не потребовали бы как можно меньше жертв и чтобы Россия, великая Россия, была спасена от окончательной гибели

erschienen am 26.10. (08.11.) 1917, Nr. 347 1

Zusammengestellt von Leonid A. Klimov. Übersetzungen: dekoder-Redaktion und Anselm Bühling

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Die Februarrevolution

„Um mich herum sind Verrat, Feigheit und Betrug“, notierte Zar Nikolaus II. am 2. März (15. März) 1917 in sein Tagebuch, nachdem er am Tag zuvor in einem Eisenbahnwaggon seine Abdankungsurkunde unterzeichnet hatte. Frithjof Benjamin Schenk über die dramatischen Entwicklungen im Winter 1917, die als Februarrevolution in die Geschichte eingegangen sind. 

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Oktoberrevolution 1917

Die Revolutionen des Jahres 1917 markierten eine Zeitenwende in Russland: Im Februar der Sturz des letzten Zaren und nur wenige Monate später, am 7. und 8. November, der Sturz der Übergangsregierung durch die Bolschewiki unter Führung von Lenin. Robert Kindler über Ursachen und Folgen der Oktoberrevolution.

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Oktoberrevolution 1917

Eine Woche vor jenem Ereignis, das als „Oktoberrevolution“ in die Geschichte eingehen sollte, notierte der Schriftsteller Maxim Gorki: „Eine unorganisierte Menge, die kaum weiß, was sie will, wird sich auf die Straße wälzen, und in ihrem Gefolge werden Abenteurer, Diebe und professionelle Mörder ‚die Geschichte der russischen Revolution machen‘.“1 Gorkis Furcht vor einer Gewaltexplosion sollte sich bewahrheiten. Die Geschichte der russischen Revolution und des daraus resultierenden Bürgerkriegs war eine Geschichte blutiger Konflikte und brutaler Auseinandersetzungen.

Die radikalsten unter den russischen Sozialisten, die Bolschewiki unter ihrem Führer Wladimir Lenin, waren dabei die treibenden Kräfte. Ihr Staat, die Sowjetunion, entstand aus der erbarmungslosen Gewalt, mit der sie ihren Herrschaftsanspruch durchsetzten und die Bevölkerung des Vielvölkerreichs unterwarfen. Ungeachtet dessen verbanden Menschen in aller Welt mit dem Staatsbildungsprojekt der Bolschewiki das Versprechen auf eine bessere Zukunft. In dieser Perspektive markierte die Oktoberrevolution den Beginn einer neuen Zeitrechnung.

Zu Beginn des Jahres 1917 befand sich das Russische Imperium in einer tiefen Krise. Der seit 1914 andauernde Erste Weltkrieg überforderte das Land in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht. Im Februar gingen in der russischen Hauptstadt Petrograd die Menschen auf die Straße und forderten eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln. Die Unruhen weiteten sich rasch aus und führten innerhalb weniger Tage zum Sturz des letzten russischen Zaren: die Februarrevolution in Russland. Nach der Abdankung Nikolaus‘ II. etablierte sich in Petrograd die sogenannte „Doppelherrschaft“. Formal übernahm eine Provisorische Regierung die Amtsgeschäfte, bis eine konstituierende Versammlung über die Zukunft des Reiches entscheiden sollte. Doch die Regierung war abhängig von den Räten der Arbeiter und Soldaten, den Sowjets. Diese verstanden sich als Vertreter jener, die die Revolution „gemacht“ hatten.

Im Verlaufe des Jahres 1917 radikalisierten sich die Sowjets zusehends angesichts der immer weiter um sich greifenden sozialen und militärischen Krise. Die Bolschewiki, die vor dem Ausbruch der Februarrevolution noch eine wenig bedeutende radikale Splittergruppe waren, profitierten davon. Ihre klaren Forderungen nach Brot, Frieden und Land wirkten anziehend auf viele, deren Hoffnungen sich nach der Februarrevolution nicht erfüllt hatten. Gleichzeitig wurden sie immer wieder als Handlanger der Deutschen bezeichnet; ein Verdacht der durch die spektakuläre Reise Lenins in einem verplombten Waggon durch die feindlichen Linien erhärtet wurde. Doch die öffentliche Meinung interessierte Lenin wenig. Er setzte auf den gewaltsamen Umsturz.

Mythos vom Ansturm auf das Winterpalais

Am 7. November 1917 war es soweit. Nach mehreren Tagen kaum verhüllter Vorbereitungen besetzten Soldaten und bewaffnete Arbeiter strategisch bedeutende Gebäude in der russischen Hauptstadt. Die Provisorische Regierung gebot schließlich nur noch über das Winterpalais am Ufer der Newa. Anders als die bildstarke Mythologisierung durch Sergej Eisensteins Film Oktober nahelegt, gab es keinen Ansturm der revolutionären Massen auf das Gebäude. Die wenig motivierten Verteidiger des Gebäudes ließen sich ohne große Gegenwehr entwaffnen. Lenin proklamierte vor dem in der Nacht zusammengetretenen Zweiten Allrussischen Sowjetkongress die Sowjetmacht. Denjenigen moderaten Sozialisten, die gegen diese Anmaßung protestierten, rief Leo Trotzki hinterher, sie sollten dorthin gehen, wo sie hingehörten: „Auf den Kehrichthaufen der Geschichte.“

Der Bolschewik, Ölgemälde von Boris Kustodijew (1920) © Gemeinfrei

In ihren ersten Beschlüssen griff die neue Regierung, der sogenannte Rat der Volkskommissare populäre Forderungen auf. Die bolschewistischen Machthaber erklärten sich zu sofortigen Friedensverhandlungen ohne jede Vorbedingung mit den Mittelmächten bereit, sie verfügten, dass der Boden jenen gehören sollte, die ihn bearbeiteten, und sie sprachen den Nationalitäten des russischen Imperiums das Recht auf Selbstbestimmung zu. Einige Zeit später wurden überdies die Nationalisierung der Banken sowie die Einführung der Arbeiterkontrolle in den Fabriken dekretiert. Indes verschärfte sich die Krise immer mehr: Der Krieg mit den Mittelmächten dauerte an, die Wirtschaft lag am Boden und die staatliche Ordnung war in weiten Teilen des Imperiums zusammengebrochen. Die Erosion etablierter Hierarchien führte in die Anarchie. Wie Gorki es prophezeit hatte, versank Russland in einem Chaos aus Gewalt, unkontrollierter Massenmigrationen, Epidemien, Versorgungsschwierigkeiten und militärischen Rückschlägen. Rasch wurde die Lage zu einer Bedrohung für die Bolschewiki selbst. Für die meisten Zeitgenossen im In- und Ausland stand deshalb fest, dass die neue Regierung bald der Vergangenheit angehören würde.

Doch die Bolschewiki konnten sich behaupten, weil sie radikaler und entschlossener als ihre Gegner vorgingen. Die im Januar 1918 zusammengetretene Verfassunggebende Versammlung ließen sie bereits nach einem Tag schließen, unliebsame Zeitungen wurden verboten und gegen massiven Widerstand in den eigenen Reihen war Lenin sogar bereit, den Mittelmächten weitreichende territoriale Zugeständnisse zu machen, um eine „Atempause“ für den Kampf im Inneren zu gewinnen. Das Regime errichtete eine brutale Gewaltherrschaft, die sich gegen tatsächliche und imaginierte Feinde richtete. Abertausende Menschen fielen dem Roten Terror zum Opfer und die Angst vor Repressionen trieb unzählige Angehörige der ehemaligen Eliten in die Emigration. Rücksichtslosigkeit war schließlich auch der Schlüssel für den Sieg im 1918 ausbrechenden Bürgerkrieg, der drei Jahre dauerte.  

Handelte es sich beim Umsturz der Bolschewiki um eine Revolution oder war er nichts anderes als ein Putsch? Der Streit darüber ist so alt, wie das Ereignis selbst und er ist bis heute mehr als ein akademisches Problem: Hängt doch die Legitimität des gesamten sowjetischen Projekts nicht zuletzt von der Antwort auf diese Frage ab. Für die sowjetische Geschichtsschreibung war die Sache klar. Hier resultierte die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“ zwingend aus der Februarrevolution und markierte den Beginn einer neuen Ära in der Menschheitsgeschichte; den Triumph der unterdrückten Klassen über die kapitalistischen Ausbeuter. Dagegen wurde mehrfach eingewandt, dass der Oktober eine radikale Abkehr von den demokratischen Prinzipien des Februars darstellte und direkt in die Diktatur der Bolschewiki führte. Weitere Forschungskontroversen um die Revolutionen von 1917 entzündeten sich unter anderem daran, ob das Ende des Imperiums systemisch bedingt oder ob der Erste Weltkrieg entscheidend für die Ereignisse von 1917 war. In jüngerer Zeit sind die beide Revolutionen des Jahres 1917 zudem als Teil eines „Kontinuums der Krise“ (Peter Holquist) zwischen 1914 und 1921 interpretiert worden.2 In dieser Perspektive waren die Revolutionen eine Zeit kurzlebiger Hoffnungen und Utopien, vor allem aber waren sie Teil einer umfassenden sozialen und kulturellen Krise.„Doch die Bolschewiki konnten sich behaupten, weil sie radikaler als ihre Gegner vorgingen.“ © Gemeinfrei


1.Gorki, Maxim (1972): Unzeitgemäße Gedanken über Kultur und Revolution, Frankfurt/Main, S. 87
2.Holquist, P. (2002): Making War, Forging Revolution. Russia’s Continuum of Crisis, 1914-1921, Cambridge
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Frauen und die Revolution

Es waren Frauen, die mit ihrer Demonstration am 8. März die Ereignisse in Gang setzten, die vor 100 Jahren den Zaren stürzen und den radikalen Politikwechsel ermöglichen sollten. Zu der Zeit kämpften Frauen in Russland immer mehr um ihre Rechte – und gestalteten die revolutionären Umbrüche aktiv mit. Carmen Scheide über die historische Frauenbewegung, ihre Vorstellungen von einer sozialistischen Zukunft und den Verlust revolutionärer Utopien.

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„Um mich herum sind Verrat, Feigheit und Betrug“, notierte Zar Nikolaus II. am 2. März (15. März) 1917 in sein Tagebuch, nachdem er am Tag zuvor in einem Eisenbahnwaggon seine Abdankungsurkunde unterzeichnet hatte. Frithjof Benjamin Schenk über die dramatischen Entwicklungen im Winter 1917, die als Februarrevolution in die Geschichte eingegangen sind. 

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Es war für jeden Sowjetbürger geradezu eine Pflicht, einmal im Leben eine Pilgerfahrt nach Moskau zu unternehmen. Neben vielen anderen Sehenswürdigkeiten erwartete ihn dort das zentrale Heiligtum: Lenin in seinem gläsernen Sarg. Monica Rüthers über das Lenin-Mausoleum, das zum Mittelpunkt des Lenin-Kultes geworden ist.

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Gulag

Der Begriff Gulag steht im weitesten Sinne für das sowjetische Lagersystem und damit für den Terror und den Repressionsapparat, den die kommunistische Partei der Sowjetunion zum Erhalt ihrer Macht aufbaute. GULag ist die Abkürzung für Hauptverwaltung der Erziehungs- und Arbeitslager. Diese Verwaltungsstruktur existierte von 1922 bis 1956 und unterstand dem sowjetischen Sicherheitsdienst.

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Am 15. Oktober 1922 eröffnete die Erste Russische Kunstausstellung in Berlin. Mit ihr gelingt der Galerie van Diemen ein echter Coup, die westliche Kritik spricht über die Werke von Malewitsch, El Lissitzki, Tatlin und anderen sowjetischen Avantgardisten. So war die Schau kurz nach Oktoberrevolution und Erstem Weltkrieg vor allem auch politisches Signal des jungen Sowjetrusslands – an die Weimarer Republik und an die Welt. 

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Vom Idealmenschen zum untertänigen Opportunisten: Der einst utopische Begriff des Sowjetmenschen erfuhr nach der Perestroika eine komplette Umpolung. Soziologen erklären mit dem Phänomen die politische Kultur der UdSSR – aber auch Stereotypen und Überzeugungen von heute.

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